Lokallust Dorsten - page 23

Geschenke für
besinnliche
Weihnachten!
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10. Dezember 2016 Ein Platz am Tisch
uns feiern und wir werden hoffentlich jeder ein Stück weit die Geschich-
te der jeweils anderen kennenlernen. Die Plätze am Tisch werden wie-
der besetzt sein, und so sehr ich meinen Sohn auch an diesem Abend
vermissen werde, so sicher bin ich mir, dass er wahrscheinlich an einem
anderen Ort einen leeren Platz am Tisch eingenommen hat und dort
seine und vielleicht auch ein bisschen unsere Geschichte lebt. Wie die
zwei Gäste, die jetzt an unserem Tisch sitzen werden. Und mit denen
wir einen hoffentlich wunderschönen gemeinsamen Abend verbringen
können.
Text: Susanne Brzuska
Fotos: fotolia.de
haschen. Als ich näher ans Fenster trat, war sie plötzlich
wieder verschwunden. Merkwürdig. Eigentlich war ich
mir sicher, dass ich die Kinder aus der Nachbarschaft
ziemlich gut kannte, sie hätten auch bestimmt kurz ge-
wunken oder gerufen. Aber diese Kleine. Nein. Ein paar
Tage später auf dem Weihnachtsmarkt in der Stadt sah
ich sie wieder. Nur kurz, aber auch da hatte ich das Ge-
fühl, dass sie genau mich ansah. Ob sie mich erkannt
hatte genauso wie ich sie? Sie ging Hand in Hand mit ih-
rer Mutter, schaute sich die Stände auf dem Weihnachts-
markt an, blieb mal hier und mal dort stehen, dann gin-
gen sie weiter. Und waren auf einmal wieder aus meinem
Blickfeld verschwunden. Später dann, als wir uns auf den
Heimweg machten und die schmale Straße zu unserem
Haus hinaufliefen, dachte ich, ich hätte die zwei noch ein-
mal gesehen. Wahrscheinlich nur eine Einbildung. Doch
am nächsten Morgen auf dem Wochenmarkt sah ich sie
wieder. Und dieses Mal grinste sie mich tatsächlich ein
wenig an. Dieses kleine Mädchen, das ich das erste Mal
vor meinem Fenster gesehen hatte und die mich seitdem
irgendwie nicht mehr losließ. In ihrer Begleitung waren
jetzt mehrere Menschen. Einige kannte ich. Sie gehörten
zu denjenigen, die sich hier vor Ort für die Flüchtlinge
engagierten. Und als sie bemerkten, dass dieses kleine
Mädchen und ich irgendwie ein wenig Kontakt hatten,
kamen sie auf mich zu. Erzählten mir ihre Geschichte. Ge-
flüchtet aus Damaskus, mit ihrer Familie, den Vater und
den Bruder auf der Flucht übers Mittelmeer aus den Au-
gen verloren und vor wenigen Wochen hier bei uns ange-
kommen. Wie so viele andere. Aufgenommen, angekom-
men und jetzt in der Warteschlange. Sheila, so war ihr
Name, acht Jahre alt, hatte mehr erlebt, als Kinder in ih-
rem Alter eigentlich verkraften können, aber sie war neu-
gierig. Irgendwann stand sie wieder in unserem Garten,
und noch ein kleines bisschen später habe ich sie einfach
gefragt. Mit Händen und Füßen gefragt, ob sie eventuell
mit uns Weihnachten feiern möchte. Keine Ahnung, ob
sie sofort verstanden hat, was ich ihr erklären wollte.
Aber sie kam wieder, an der Hand ihrer Mutter. Mit ihr
konnte ich mich auf Englisch unterhalten. Natürlich hat
dieses Weihnachten, was wir hier feiern, eine ganz an-
dere Bedeutung für sie als Muslima. Aber darum ging es
gar nicht. Wir haben diesen Platz am Tisch, der frei war.
Eigentlich in diesem Jahr sogar zwei, und auch mehr,
wenn es nötig sein sollte. Und wollen gerne mit anderen
Menschen feiern, zusammen sein, lachen, egal, woher sie
kommen und zu welcher Religion sie gehören. Alles egal.
Sie sind nett, hier noch fremd und herzlich willkommen.
Sheila und ihre Mutter kommen tatsächlich, werden mit
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