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Interview Masthoff | 28. April 2018
Perlentauchen zwischen den Zeilen
Eine schriftliche Liebeserklärung an Haltern und seine Bewohner
Manche Menschen sind die ge-
borenen Geschichtenerzähler. Sie
reden und reden, ohne dass man
je müde wird, ihnen zu lauschen.
Andere sind die geborenen Zu-
hörer. Ihnen kann man sein Herz
nach Lust und Laune ausschütten.
Sie sitzen einfach da und haben
im wahrsten Sinne des Wortes
ein offenes Ohr. Und dann gibt es
Menschen, die können beides. Ei-
ner dieser Menschen ist die Hal-
ternerin Eva Masthoff. Erzählen,
zuhören und schreiben sind ihre
Passionen. Dass Beruf und Beru-
fung hierbei untrennbar verbun-
den sind, zeigt ihr neuestes Buch
„Jahrgangsperlen“.
Haben Sie sich schon einmal
Gedanken dazu gemacht, was das
Herz einer Stadt ausmacht? Die
Architektur, die Geschichte oder
die Menschen? Die Antwort ist:
alle drei. Aber allen voran die Men-
schen, sind es doch ihre Geschich-
ten und ihre innere Architektur,
die einen Ort einzigartig machen.
So erzählen die „Jahrgangsperlen“
Geschichten, Anekdoten und Dö-
nekes, die direkt aus den Herzen
derer kommen, die sie erlebt ha-
ben. In Zusammenarbeit mit dem
Fotografen Wolfgang Koehler hat
Eva Masthoff ihre Erinnerungen
aufgespürt, dokumentiert und
für die Ewigkeit haltbar gemacht.
Dennoch – diese Perlen sind mehr
als eine bloße Transkription von
Fakten.
„Durch meine frühere Tätigkeit
als freie Mitarbeiterin bei den Hal-
terner Tageszeitungen kenne ich
sehr viele Menschen. Von einigen
wusste ich, dass sie tolle Geschich-
ten zu erzählen haben. Bei anderen
habe ich danach getaucht und sie
an die Oberfläche geholt,“ erzählt
die Autorin. Es sind Geschichten,
die die Erzählenden sehr bewegt
und die sie auch nach vielen Jahren
nicht vergessen haben. Lustiges,
Spannendes, Aufwühlendes, Un-
terhaltsamen und Trauriges hat so
seinen Platz in den „Jahrgangsper-
len“ gefunden. Ein rein erheitern-
des Buch zu schreiben, sei für Eva
Masthoff keine Option gewesen:
„Auch Trauriges ist das Leben von
Haltern. Das gehört nunmal dazu.“
Wie bei so vielen Dingen im Le-
ben, kommt es auch hier auf den
Ton des Erzählten an. Und den
schafft die Halterner Autorin auf
den Punkt zu treffen. Kein Wun-
der, handelt es sich bei ihrer Arbeit
nicht um bloßes Mitschreiben von
Worten. „Ich habe für das Buch
viele Menschen getroffen. Man-
che im Supermarkt, manche in der
Bank. Ich habe mir ihre Geschich-
ten angehört, zu Hause nachemp-
funden und mit meinen eigenen
Worten nacherzählt,“ so Eva Mast-
hoff. Und manches habe sie natür-
lich auch nachrecherchiert, denn
die Erinnerung spielt den Men-
schen gelegentlich doch manchen
Streich. Da werden Dinge am Ende
zu etwas, das sie ursprünglich gar
nicht waren. Eine Tatsache, die die
„Jahrgangsperlen“ von anderen Bü-
chern unterscheidet. Sie sind den
Erinnerungen entsprungen, mit
Wahrheiten belegt und schaffen
eine emotionale Verbindungen.
Emotionen sind überhaupt das
Schlüsselwort, wenn es um die
Menschen dieses Buches geht.
Nicht allein, weil sie den Geschich-
ten ihre Relevanz geben. Sondern
auch, weil sie die Verbindung zwi-
schen Erzählenden und Lesenden
schaffen. „Das Buch hat wirklich
gut eingeschlagen und ich habe
sehr schöne Rückmeldungen be-
kommen. Ein Lyriker aus Marl hat
mir geschrieben, dass das Buch für
ihn einen liebenswürdigen Men-
schengarten zeichnet, in dem man
gerne lustwandelt. Oder ein ande-
rer schrieb, das Buch sei gefähr-
lich! Nach der ersten Geschichte
sei man schon süchtig,“ resümiert
die Halternerin die Reaktionen ih-
rer Leser. Dabei sei das Buch schon
über die Grenzen von Haltern hi-
naus bekannt. Viele verschenken
es an Freunde und Verwandte, die
nicht (mehr) in der Seestadt woh-
nen und bringen ihnen damit ein
Stück Heimat.
Es sind die Augenblicke aus dem
Leben eines Menschen, die ihn zu
dem machen, wer er ist. Und sie
sind es, die ihn mit anderen Men-
schen verbinden, denn Erinne-
rungen können ähnlich sein. Wie
ähnlich, das hat Eva Masthoff bei
ihren Lesungen in den Altenwohn-
häusern Halterns und seiner Dör-
fer gespürt: „Beim Zuhören haben
viele Menschen gelächelt. Ich habe
genau gesehen, wie sich die Räder
in ihren Köpfen drehen, und wie
sie an ihre eigenen Geschichten
denken.“
Erzählen, Zuhören, Lesen, in ei-
genen Erinnerungen schwelgen.
Die „Jahrgangsperlen“ bieten je-
dem das, was er sich wünscht. Ob
es einen zweiten Teil geben wird,
weiß Eva Masthoff noch nicht.
Denn hinter einem Buch wie die-
sem steckt auch eine Menge Ar-
beit. Doch wer sie genau beobach-
tet, während sie über die tollen
Erinnerungen der Halterner Be-
wohner spricht, sieht das Glitzern
in ihrem Blick. Und der sagt: Viel-
leicht ja doch. Das ist nämlich das
schöne an Erinnerungen – sie sind
nie auserzählt.
Text: Dr. Felicitas Bonk
Fotos: Privat
Eva Masthoff