Beim gemütlichen Kaffeekränz-
chen mit den Nachbarn erzählt
Frau Wernecke aus heiterem
Himmel, dass sie Fußpilz hat. Alle
am Tisch wissen sofort, worum
es sich dabei handelt und wo-
möglich sogar, was zu tun ist.
Aber niemandmöchte das The-
ma weiter vertiefen. Außer Frau
Wernecke natürlich. Sie vermu-
tet, dass sie sich im Schwimm-
bad nach dem Wasser-Aerobic
bei Frau Reck angesteckt hat.
Was Frau Wernecke noch
nicht zur Gänze verstanden hat:
In unserem Kulturkreis spricht
man über manche Dinge einfach
nicht, und seien sie noch so all-
gegenwärtig. Tabuthema nennt
man das dann oft.
Genauso kommt es mir beim
Aufhänger dieser Kolumne vor:
Die nackte Frau von der Gahlener
Straße.
Wenn man aus der Innenstadt
kommend in Richtung Kran-
kenhaus fährt, steht sie da, auf
dem Balkon, und streckt jedem
Passanten ihr nacktes Hinterteil
entgegen. Seit
vielen Jahren,
rund um die
Uhr.
Sie ist aus
Ton, das sollte
ich für die We-
nigen, die sie
nicht
kennen,
vielleicht dazuschreiben. Le-
bensgroß, braungebrannt, von
innen hohl und eben komplett
nackt.
Ich stelle mir gerade die Per-
son vor, die sie dort aufgestellt
hat – vermutlich auch die Person,
die in der mit dem Balkon ver-
bundenen Wohnung lebt – wie
sie sich ins Fäustchen lacht, beim
Gedanken an die vielen Men-
schen, die nichts Böses denkend
die Gahlener Straße entlang-
fahren, plötzlich auf
den nackten Ton-Al-
lerwertesten gucken
müssen und sich
selbst obszön dabei
vorkommen.
Als Kind hatte ich
nach der Vorbeifahrt
beinahe ein schlech-
tes Gewissen, wenn ich der Dame
mal wieder aus Versehen aufs
bare Gesäß geguckt hatte. Da
kommt mir eine Frage: Ist das
überhaupt jugendfrei, was die
nackte Tonfrau da treibt?
Fritz Schaefer (Jahrgang 1997) ist leidenschaftlicher Beobachter und Belauscher. Der gebürtige Dorstener teilt seine Gedanken und Erlebnisse monatlich
in der Lokallust. Lustig, charmant und bestimmt auch kritisch. Neben seinen Hörspiel- und Filmprojekten arbeitet er für verschiedene Verlagshäuser und
Rundfunkanstalten. Die Universität Witten/Herdecke machte ihn 2015 zum „Pfad.finder“-Stipendiaten. Seit 2016 ist er Mitglied der Grimme-Preis-Jury. Die
Fritz-Kolumne ist zusätzlich immer online hörbar – als Pommes-Soko-Erfinder und Ex-Mike-Litt-Praktikant hat der Autor ein Faible für das gesprochene
Wort. QR-Code scannen oder unter lokallust.de anhören. Leserpost:
Eine nackte Frau
Es kann ja sein, dass wir alle viel
zu sehr an sie gewöhnt sind. Dass
wir sie schlicht so wahrnehmen
wie anderswo einen Garten-
zwerg. Ein Stehrümchen, wie
man so schön sagt. Was auch
immer der Grund sein mag: Ich
möchte das Schweigen nun ein
für allemal brechen. Und den
„Besitzer“ fordere ich zu einem
kleinen Spiel heraus: Sollten Sie
diese Kolumne gelesen haben,
geben Sie mir ein Zeichen! Dre-
hen Sie die Statue bitte für ein
paar Wochen um, so dass wir
Vorbeifahrenden der Nudistin
endlich mal in die Augen sehen
können.
Fortsetzung folgt. Hoffentlich.
Fritz
Lassen Sie sich beraten. Wir freuen uns auf Sie!
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29. April 2017
Fritz Kolumne
