Lokallust Dorsten - page 28

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GAGU Zwergenhilfe
Barmherzigkeit.
Ohne
Scheu
nimmt Gudrun Gerwien das große
Wort in den Mund, wenn sie über
das Engagement der Zwergenhil-
fe im westafrikanischen Küsten-
staat Sierra Leone spricht. Aber
sie sagt auch: „Die Spendenemp-
fänger sollen lernen, dass die Eu-
ropäer ihr Geld nicht von Bäumen
pflücken.“ Der kleine Schermbe-
cker Verein verbindet sein Enga-
gement mit einem klaren Blick auf
die Realität und dem Anspruch,
Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.
Unterstützung im akuten Notfall
bleibt ein Schwerpunkt des Han-
delns, darüber hinaus nimmt der
Vorstand langfristige Ziele in den
Blick: Was verspricht nachhaltigen
Nutzen? „Wir wachsen mit unseren
Aufgaben“, sagt Gudrun Gerwien,
Vorsitzende der GAGU-Zwergenhil-
fe e. V. Nun ist es der Initiative zum
zweiten Mal gelungen, den Bürger-
meister der Gemeinde von einer
Wette zu überzeugen.
Es geht um 50 000 Euro: Mit diesem
Geld will die Zwergenhilfe in Sier-
ra Leone eine kleine Siedlung mit
sechs bis acht Hütten bauen, in die
Familien aus den Slums einziehen
können. Sie erhalten Wohnrecht
auf Lebenszeit - soviel zur Barm-
herzigkeit. Die neuen Bewohner
verpflichten sich im Gegenzug,
selbst Verantwortung zu überneh-
men und einen kleinen Beitrag
zum Aufbau der zerrütteten Ge-
sellschaft zu leisten: Sie sollen ein
Waisenkind in ihre Familie aufneh-
men und versorgen - die Helfer ver-
langen für ihre Unterstützung Mit-
arbeit bei der Hilfe zur Selbsthilfe.
„Die Familien werden auf diese
Weise von Leistungsempfängern
zu Leistungserbringern“, sagt Gud-
run Gerwien. Regierungsstellen
des Landes sollen später einmal
die Einhaltung der Regeln kontrol-
lieren.
Bürgermeister Mike Rexforth wet-
tet, dass die Schermbecker im Lauf
eines Jahres die 50000 Euro auf-
bringen, die das Projekt benötigt.
Die Zwergenhilfe wettet dagegen
und lässt sich gern vom Gegenteil
überzeugen. Die Mitglieder haben
Grund zum vorsichtigen Optimis-
mus, denn in einem ähnlichen Fall
waren sie schon einmal fröhliche
Verlierer. Im April 2008 ließ sich
Bürgermeister
Ernst-Christoph
Grüter auf eine Wette mit der da-
mals zwei Jahre alten Zwergen-
hilfe ein. Wenige Monate zuvor
waren Gudrun Gerwien und Dieter
Schmitter von ihrer ersten Reise
nach Sierra Leone zurückgekehrt.
Mit ihnen unterwegs war Osman
Turay, der aus Sierra Leone geflo-
hen und als Asylant in Schermbeck
gestrandet war. Er zeigte ihnen,
was der elfjährige blutige Bürger-
krieg, in dem Diamanten eine zen-
trale Rolle spielten, in seinem Hei-
matland angerichtet hatte.
Die ehemalige britische Kolonie ist
hoch verschuldet und extrem arm.
Der Ausbruch der Ebola-Epidemie
im Jahr 2014 verschärft nicht nur
die humanitäre Krise, er bringt
auch die wirtschaftliche Ent-
wicklung ins Stocken. Nach dem
Kinderhilfswerk UNICEF gehört
Sierra Leone zu den Ländern mit
der höchsten Kindersterblich-
keit der Welt. Fast jedes dritte
Kind stirbt vor seinem fünften
Geburtstag. Viele Kinder lei-
den unter Mangelernährung;
ihre geschwächten Organismen
sind besonders anfällig für In-
fektionskrankheiten wie Malaria.
Für ein Drittel aller Todesfälle bei
Kleinkindern ist Malaria verant-
wortlich.
Dies sind für Gudrun Gerwien und
Dieter Schmitter nicht nur Daten
und Zahlen auf dem Papier. Die
Informationen nehmen die Gestalt
von Erinnerungsbildern an, die
sie nicht mehr vergessen werden:
Mütter, die ihre kranken Säuglinge
in die Arme der weißen Besucher
legen; hungernde Arm- und Bein-
amputierte, die in den Straßen der
Hauptstadt Freetown betteln; die
sachlichen Worte eines Arztes bei
einer Geburt unter primitivsten
Umständen: „Entweder stirbt die
Mutter oder das Kind oder alle bei-
de.“ Dies alles in einer Umgebung,
die gute Voraussetzungen für Tou-
rismus bietet: „Am Strand hätte
man meinen können, man wäre
im Urlaub.“ Wenn nicht auch dort
so viele Kinder und Jugendliche
unterwegs wären, die im Bürger-
krieg ihre Familien verloren haben.
Die beiden Schermbecker waren
erschüttert. Sie hatten aus der Hei-
mat Spendengelder mitgebracht,
mit denen sie vor Ort Lebensmittel
wie Reis, Öl und Zwiebeln einkauf-
ten und verteilten. Als sie die Men-
ge der hilfsbedürftigen Menschen
sah, wurde ihnen klar: „Das reicht
nicht.“ Ein frustrierendes Erlebnis.
Mit punktuellen Geldspenden,
überlegte Gudrun Gerwien, konn-
te die Zwergenhilfe nicht an Stell-
schrauben drehen, um nachhaltige
Veränderung zu erreichen - und sei
es nur im Kleinen. Sie entwickel-
te die Idee eines Kinderhauses, in
dem verwaiste Jungen und Mäd-
chen in Sicherheit aufwachsen
und die Schule besuchen sollten.
„Dahinter stand die Überlegung:
„Wir müssen für die Kinder etwas
tun. Es sind die Jungen, die später
als Erwachsene Verantwortung für
ihr Land übernehmen werden.“
Dieter Schmitter, der zweite Vorsit-
zendes des Vereins, fand die Idee
damals ziemlich verrückt, und mit
dieser Einschätzung stand er nicht
allein. Aber Gudrun Gerwien ließ
nicht locker. Wenn jeder der 15000
Einwohner Schermbecks zwei Euro
spendete, überlegte sie, dann hät-
te sie den Betrag zusammen. Sie
fand zunächst in Bürgermeister
Grüter einen Wettpartner und an-
schließend in ihren Schermbecker
Mitbürgern Helfer. ImOktober 2011
zogen die ersten Kinder - Halb-
oder Vollwaisen - in das „Home
of Hope“ der Zwergenhilfe auf
der Halbinsel Lungi nördlich der
Hauptstadt Freetown ein. 15 Jun-
gen und Mädchen wachsen dort
Wir wachsen mit
unseren Aufgaben
Info
Kriegsfolgen
Die au ällig hohe Zahl amputierter Einwohner in Sierra Leone erklärt sich
durch den Umstand, dass eine der Bürgerkriegsparteien bei ihren Überfällen
auf Dörfer Zivilisten die Gliedmaßen abtrennte. Als Folge leben etwa 20000
„Amputees“ im Land, von denen viele in Camps untergebracht sind und dort auf
Unterstützung ho en, die bisher ausblieb. Vor allem ihnen und ihren Kindern
gilt die Hilfe aus Schermbeck.
Spenden erreichen die GAGU-Zwergenhilfe e.V. Deutschland, die auf Wunsch
Quittungen ausstellt, über die Bankverbindungen bei der Verbands-Sparkasse
Wesel, Konto 254 854, Bankleitzahl 356 500 00, IBAN DE67356500000000254854,
oder Volksbank Schermbeck, Konto 777 777 900, Bankleitzahl 400 693 63,
IBAN DE55400693630777777900.
1...,18,19,20,21,22,23,24,25,26,27 29,30,31,32,33,34,35,36,37,38,...56
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