Lokallust Dorsten - page 49

Fritz Schaefer (Jahrgang 1997) ist ein leidenschaftlicher Beobachter
und Belauscher. Er teilt seine Gedanken und Erlebnisse monatlich in der
Dorstener Lokallust mit. Lustig, charmant und bestimmt auch kritisch.
Die Fritz-Kolumne ist online zusätzlich immer hörbar – als Pommes-
Soko-Erfinder und Ex-Mike-Litt-Praktikant hat der Autor auch ein Faible
für das gesprochene Wort. QR-Code scannen oder unter lokallust.de
anhören.
- Schließlich heiße ich Fritz.
© Christian Schwitt, Flying Brüderchen Photography
WÄRME
IN EINER
KALTEN
JAHRESZEIT
Diese neue Supermarkt-Werbung
macht mich fertig. Man sieht ei-
nen alten Mann, der mit Hünd-
chen und Einkäufen nach Hause
kommt. Sofort hört er den Anruf-
beantworter ab: „Hallo Papa, wir
schaffen es dieses Weihnachten
wieder nicht, dich zu besuchen.
Tut mir echt leid. Im nächsten
Jahr klappt es bestimmt!“ Im Hin-
tergrund hört man Kinder lachen.
„Hallo Opa!“
Traurig beginnt der kleine Mann
sein Weihnachtsessen zuzuberei-
ten. Dabei sieht er durchs Fens-
ter, wie der Nachbarsopa freude-
strahlend seine Kinder und Kin-
deskinder begrüßt, die zu Besuch
gekommen sind. Der Supermarkt-
Opa schneidet betrübt eine Möhre
in kleine Stücke.
Danach zieht er sich fein an,
setzt sich an den großen Tisch
und beginnt sein einsames
Mahl. Das geht wohl alle
Jahre wieder so; nach je-
dem Schnitt ist er anders
gekleidet. Immer hat
er liebevoll dekoriert,
wahrscheinlich
in
der Hoffnung, dass
die Kinder ihn doch
noch besuchen und
den Tannenbaum be-
staunen.
Die sind allerdings
mit anderen Din-
gen
beschäftigt,
wie man sieht. Auf
Geschäftsreise in Asien,
als Arzt in der Klinik, als Mutter
von vielen Kindern – keiner hat
Zeit für den armen alten Mann.
Und dann, ganz unvermittelt, er-
halten die Kinder im Werbespot,
erhält der Zuschauer zu Hause,
die Nachricht vom
Tod des alten Man-
nes.
Das sitzt. Der Sohn
auf
Geschäftsrei-
se bricht im Taxi in
Tränen aus, der Arzt
lehnt weinend an
der gefliesten Kran-
kenhauswand,
die
Mutter bemüht sich,
so gut es geht, die Tränen vor den
Kindern zurückzuhalten.
An dieser Stelle fragen Sie sich
bestimmt: Was ist denn mit Fritz
los? Der schreibt doch sonst nicht
so herzzerreißende Kolumnen!
Recht haben Sie! Es wäre aber
kein Werbespot, wenn man am
Ende nicht doch noch ein gutes
Gefühl vermittelt bekäme.
Als die Kinder nämlich zur Beer-
digung endlich alle heimkommen
und einen festlich gedeckten
Tisch vorfinden, tritt plötzlich
der alte Mann aus der Küche und
gesteht, dass er seinen Tod nur in-
szeniert hat, um die Familie über
die Feiertage zusammenzubrin-
gen. Prompt beginnt ein ausge-
lassenes Weihnachtsfest, alle sind
froh, dass es Opi noch gibt.
Diese Werbung spielt zwar mit
den Gefühlen der Kunden, und es
ist fraglich, ob man das darf, aber
letzten Endes zeigt sie uns in der
kalten
Jahreszeit
mal wieder, was
wirklich ist: Wärme
– in Form von Lie-
be und Zuneigung.
Große Worte aus der
Feder eines 18-Jäh-
rigen. Aber auch ich
mache mir meine
Gedanken.
Zum Beispiel der
alte Mann im Zug, den ich so klas-
se fand, weil er tatsächlich ein No-
tenheft von Händel gelesen und
dabei im Takt der Musik wild mit
den Augenbrauen gezuckt hat,
war der vielleicht auch einsam?
Hätte ich ihm sagen sollen, dass
ich ihn klasse finde? Dass seine
Kinder ihn bestimmt bald wieder
besuchen kommen?
Huiuiui, diese Kolumne könnte ich
fast als Wort zum Sonntag einrei-
chen.
Eine fröhliche Weihnachtszeit und
einwandfreien Rutsch wünscht
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Unsere Öffnungszeiten an den Feiertagen:
Heiligabend, 1. und 2. Feiertag geschlossen,
Silvester geschlossen,
Neujahr ab 16:00 Uhr geöffnet.
Wir wünschen unseren
Kunden ein frohes
Weihnachtsfest
und ein gesundes,
glückliches neues Jahr!
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