Der besondere Filmtipp
von Martina Jansen (Kommentare: 0)
Neuer WDR-Vierteiler: Unser Land in den 60ern – Eine Zeitreise erzählt von Sabine Postel
1962 rollten in Bochum die ersten Opel Kadett A vom Band. Ein Kleinwagen für die ganze Familie, der dem VW-Käfer Konkurrenz machen sollte. Genauso einen Wagen besitzt Georg Simon aus Dorsten noch heute. Der Münsterländer hat das Auto von seinem Opa geerbt und wieder fit gemacht. Noch immer braust er damit über die Landstraßen, manchmal sogar bis nach Italien. Stolze 300.000 Kilometer kleine Flitzer auf dem Buckel.
Zu sehen am Freitag in der Sendung „Unser Leben in den 60ern“ um 20.15 Uhr im WDR.
In der neuen vierteiligen Reihe geht der WDR auf Zeitreise
Sabine Postel übernimmt die Erzählerinnenrolle und führt uns durch ein Jahrzehnt, das Nordrhein-Westfalen geprägt hat wie kaum ein zweites. Die Architektur von damals formt bis heute das Gesicht unserer Städte und Gemeinden. Zehntausende Menschen, die in diesen Jahren gekommen sind, um die Wirtschaft im Land weiter anzukurbeln, haben an Rhein und Ruhr eine neue Heimat gefunden. Und die Hits dieser Jahre sind heute Evergreens mit Ohrwurm-Garantie.
Die erste Folge mit dem Titel „Der Duft der großen weiten Welt“ am Freitag, 13. November 2020 von Simone Schillinger schilderte den Aufbruch in ein neues Jahrzehnt, in dem Nordrhein-Westfalen nur eine Richtung kannte: Volle Kraft voraus!
Freitag, 20. November 2020 um 20.15 Uhr, Folge 2: Eine Klasse für sich
Ein Film von Kathrin Schwiering
Bezahlter Urlaub - das war neu! Zu Beginn des Jahres 1963 trat das „Bundesurlaubsgesetz“ in Kraft. Auf einmal durften Arbeitnehmer 24 Tage im Jahr verreisen – bei voller Lohnfortzahlung. Die Menschen in NRW packte das Fernweh und sie reisten nach „Bella Italia“. Schnell bekam der Küstenort Rimini den Spitznamen „Teutonengrill“, denn hier sonnten sich vor allem Deutsche.
Wer sich nicht über den Brenner traute, der machte Urlaub in NRW. Beliebtes Ziel: Der Teutoburger Wald mit seinem sagenumwobenen Hermannsdenkmal. Ganz in der Nähe wuchs Wilfried Mellies auf und erlebte mit, wie seine Heimat zur Touristenhochburg wurde. Seine Eltern vermieteten Gästezimmer und der damalige Teenager aus dem kleinen Örtchen Hiddesen zählte mit seinen Freunden Autos, die vor „dem Hermann“ einen Parkplatz suchten.
Hergestellt wurden viele dieser Autos in Bochum: General Motors eröffnete 1962 auf dem ehemaligen Gelände der Zeche Dannenbaum ein neues Opel-Werk. Hier bauten rund 11.000 Arbeiter einen ganz neuen Autotyp: den Opel Kadett A. Ein Kleinwagen für die ganze Familie, der dem VW-Käfer Konkurrenz machen sollte. Genauso einen Wagen besitzt Georg Simon aus Dorsten noch heute. Der Münsterländer hat das Auto von seinem Opa geerbt und wieder fit gemacht. Noch immer braust er damit über die Landstraßen, manchmal sogar bis nach Italien.
Mit dem Auto fuhren die Nordrhein-Westfalen in den 60ern nicht nur in den Urlaub, sondern vor allem zum Einkaufen – zum Beispiel in den neueröffneten Ruhrpark nach Bochum. Die Parkplatzsuche in der Innenstadt war eine Tortur, doch das neue Einkaufszentrum bot sie kostenfrei für 2500 Kleinwagen. Dazu stolze vierzig Geschäfte, da lohnte sich der Wocheneinkauf.
Ihr eigenes Geld ausgeben durften in den 60ern schließlich auch die Frauen. Seit 1962 konnten sie ein eigenes Konto eröffnen. Geld gaben sie natürlich auch für Mode aus: Der Bikini erlebte Anfang der 60er ein Revival und auch der Minirock stand bei modebewussten Damen hoch im Kurs. Freizügigkeit bei den Outfits – aber noch immer Engstirnigkeit bei der Rollenverteilung: Der Mann verdiente das Geld, die Frauen blieben zuhause und kümmerten sich um Haushalt und Kinder. Mit über 1,3 Millionen Babys erreichten die Geburtenzahlen 1964 ihren Höhepunkt.
Einen feministischen Lichtblick gab es in der Politik: Else Zimmermann aus Bielefeld wurde die erste Landrätin der BRD. Aber in der Landespolitik hatten nach wie vor Männer das Sagen: Bundeskanzler Konrad Adenauer empfing internationale Staatschefs wie den französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle und den jungen US-Präsidenten John F. Kennedy. Beim Besuch Kennedys stand NRW Kopf: Zehntausende hielten Spalier am Wegesrand und feierten den jungen Hoffnungsträger aus Amerika. Deutschland war ein wichtiger Bündnispartner. Es war die Zeit des Kalten Krieges und die Bundesrepublik NATO-Mitglied. Um für den Ernstfall gewappnet zu sein, kaufte Außenminister Franz-Josef Strauß beim US-Rüstungskonzern Lockheed den „Starfighter“. Einen Abfangjäger, der bei der Verteidigung der Bundesrepublik gegen die Feinde aus Russland helfen sollte. Die ersten Starfighter wurden im Fliegerhorst Nörvenich im Kreis Düren bei Köln stationiert.
Ganz in der Nähe – im kleinen Dorf Oberbolheim – lebte auch damals schon Gertrud Kremer. Täglich musste sie den ohrenbetäubenden Lärm ertragen und kämpfte gemeinsam mit den anderen Einwohnern für die Umsiedlung ihres Dorfes. Als 1962 ein Starfighter bei einem Absturz in eine Fabrik in Oberbolheim raste, stimmte der Bund endlich der Umsiedlung zu.
Doch bald bekamen die Starfighter Spitznahmen wie „Witwenmacher“, „Sargfighter“ oder „Starfaller“. Verteidigungsminister Franz Josef Strauß geriet für seine Rüstungspolitik immer mehr in die Kritik. Letztlich gipfelte diese in der „Spiegel-Affäre“ und Strauß musste zurücktreten. Auch Bundeskanzler Adenauer verließ das politische Parkett, sein Nachfolger wurde Ludwig Erhard, der Vater des „Wirtschaftswunders“. Schon vor Amtsantritt ließ der sich im Garten des Palais Schaumburg ein neues Zuhause bauen: den Kanzlerbungalow.
Fußball war schon in den 60ern ein Zuschauermagnet, allerdings noch aufgeteilt auf fünf Oberliegen. Erst 1963 wurde die gemeinsame Bundesliga eingeführt. Die spätere FC-Legende Karl-Heinz Thielen wurde vom erfolgreichen Kölner Verein als Spieler entdeckt. Damals war der 1. FC Köln der reichste und professionellste Verein in ganz Deutschland – mit den meisten Sponsoren, Geld und Know-how. In der ersten Saison waren die Kölner haushoher Favorit und holten am Ende die Deutsche Meisterschaft. Auch Dank „Kalli“ Thielen, der in der ersten Bundesliga-Saison 16 Tore schoss.
Produziert werden die Filme von BROADVIEW TV, die bereits in den vergangenen Jahren mit den Dokumentationsreihen „Unser Land in den 70ern“, „Unser Land in den 80ern“ und „Unser Land in den 90ern“ in die Vergangenheit gereist sind.
Foto oben rechts: Georg Simon in seinem 58 Jahre alten Opel Kadett
Freitag, 27. November 2020 um 20.15 Uhr, Folge 3: Weg mit dem Grauschleier
Ein Film von Carolin Wagner
In der dritten Folge der neuen vierteiligen WDR Reihe „Unser Land in den 60ern“ stehen die Jahre 1965 bis 1967 im Fokus – eine Zeit des Umbruchs: In Düsseldorf beendete die SPD die bis dato ungebrochene Macht der CDU. Heinz Kühn wurde Ministerpräsident. Die Zeit des ungebremsten Wachstums war vorbei. Im Ruhrgebiet machte das billige Erdöl der Kohle Konkurrenz.
Hohen Besuch gab es auch: Zuerst kam die Queen, und im Sommer 1966 reisten die Beatles nach NRW – zu ihrem legendären Konzert in Essen. Im WDR wurde zur gleichen Zeit ein „Märchen von übermorgen“ zum Kult. Am 17.09.1966 startete Commander Cliff Allister McLane in seiner Orion zum Weltraumabenteuer – mit Badezimmerarmaturen und Bügeleisen als berühmteste Requisiten der deutschen Fernsehgeschichte.
Der Tod von Altbundeskanzler Konrad Adenauer am 19. April 1967 markiert endgültig das Ende der Nachkriegszeit. Es stand etwas Neues bevor. In Köln liefen Studenten und Schüler in tagelangen Protesten gegen die Fahrpreiserhöhungen der KVB Sturm. Es war der Anfang von Protesten gegen die alten Machtstrukturen und für mehr Demokratie. Sie sollten bald das ganze Land erschüttern.
Die Filmemacher haben nicht nur beeindruckendes und zum Teil noch nie gezeigtes Bildmaterial aus den Sechzigern aufgespürt, sondern auch Menschen getroffen, die ihre ganz persönliche Geschichte aus dieser Zeit erzählen. So erinnert sich Ulrich Wickert an seine Studentenzeit in Bonn – als er zuerst die Queen und kurz darauf Rudi Dutschke traf.
Freitag, 4. Dezember 2020 um 20.15 Uhr, Folge 4: „Wir können auch anders“
Ein Film von Anke Rebbert
Ende der 60er Jahre liegt Veränderung in der Luft: Junge begehren gegen Alte auf, Frauen drängen auf mehr Gleichberechtigung, die Jugend will raus aus den angepassten Strukturen. Es knirscht an vielen Stellen. Zechen müssen schließen. Das Ruhrgebiet ist nicht mehr nur Arbeiter-, sondern zunehmend auch Akademiker-Revier.
In der letzten Folge von „Unser Land in den 60ern“ stehen 1968 und 1969 im Fokus: Frauen zeigen, dass sie auch anders können. Eine Rennfahrerin fährt den Männern davon und Geseke feiert Ingrid Becker, „seine“ Olympiasiegerin der Spiele in Mexiko. Willy Brandt wird der erste Bundeskanzler der SPD, und die Amerikaner landen auf dem Mond.
Das Land im Umbruch. Menschen aus der Türkei, Spanien, Griechenland oder Italien, die für die Arbeit unter Tage angeworben wurden, bauen sich neue Existenzen auf. Mittendrin eine Pizzeria in Oberhausen. Rosetta Leones Onkel Salvatore ist 1968 einer der ersten im Revier. Rosetta verlässt ihr Dorf in Kalabrien und macht sich als junges Mädchen auf nach Oberhausen. Aus dem Ferienjob wird eine Lebensentscheidung. Sie bringen die Pizza nach Oberhausen und damit ins Revier. Noch heute betreibt Rosetta Leone das Restaurant.
Zur gleichen Zeit starten ein paar Kilometer weiter die Internationalen Essener Songtage –eine Art Woodstock im Revier, ein Jahr vor dem legendären Festival in den USA. Politische Diskussionen gehören in Essen dazu. In allen größeren Städten Nordrhein-Westfalens demonstrieren Menschen für mehr Freiheiten und Mitbestimmung. Proteste gegen einen für sie altbackenen und konservativen Staat. Sie wehren sich gegen schlechte Studienbedingungen und Professoren, die schon währen der Nazi-Diktatur lehrten.
Den legendären Afri-Cola-Spot schafft Charles Wilp aus Witten: Lasziv blickende Models in Nonnentracht schlürfen Cola. Der Spot ist so revolutionär, dass er später sogar zur documenta eingeladen wird.
1969 wird Willy Brandt zum ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler gewählt. Er steht für eine vor allem von den Jüngeren geforderte neue Politik. Die sozial-liberale Koalition im Bund hat ihr Vorbild in Düsseldorf mit Ministerpräsident Heinz Kühn und Innenminister Willi Weyer.
Im Juli 1969 hält die Mondlandung die Welt in Atem. Auch hier fiebern die Menschen mit. Drei Monate nach ihrer Landung sind die Astronauten in Köln zu Gast. Und beim Empfang im Rathaus kommt es zur Begegnung von Neil Armstrong mit einem entfernt verwandten Onkel aus dem Münsterland. Was kann da noch schief gehen, auf dem Weg ins neue Jahrzehnt? Der erste Mensch, der eine Fahne in die Oberfläche des Mondes rammt, hat seine Wurzeln, ganz großzügig betrachtet, in Nordrhein-Westfalen.
Foto oben rechts: 1962 rollten in Bochum die ersten Opel Kadett A vom Band
Text und Fotos: WDR