Willkommen in Wulfen

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Willkommen in Wulfen

Sympathie braucht keine gemeinsamen Worte

Um seinen Mitmenschen zu helfen, muss man keine gemeinsame Sprache sprechen. Empathie, der Wunsch zu helfen sowie ein gutes Herz sind hierbei viel wichtiger. Die Wulfenerin Heidi Müller engagiert sich seit über 20 Jahren im Tierschutz. „Ich helfe jedem, der in Not ist, ob Mensch oder Tier.“ Und so stellten Heidi Müller und Michael Phillip kurzerhand ihr kleines „Appartement“ in Barkenberg für Julia und Ramas Monjako und deren Sohn David zur Verfügung.

Da in Zeiten des russischen Angriffskrieges Wohnraum für die ukrainischen Geflüchteten gebraucht wird, räumte das Paar kurzerhand ihr als Gästezimmer und Fitnessraum genutztes kleines Studio im Obergeschoss ihres Hauses leer und lud die drei ukrainischen Flüchtlinge zu sich ein. Vier ukrainische Flüchtlinge muss es korrekterweise heißen, denn Katze Anfissa wohnt auch hier. Sie war maßgeblich daran beteiligt, dass die kleine Familie nicht im Asylheim gelandet ist, sondern in Dorsten willkommen geheißen wurde. Da im Flüchtlingsheim Tiere verboten sind, kamen die vier für zwei Tage bei Heidis Freundin unter. „Da sich die beiden Hunde dort und unsere Katze jedoch nicht vertrugen, wollten wir unsere Unterkunft wieder verlassen“, erzählt Samas und Heidi ergänzt: „Als ich Mitte März davon hörte, war für mich sofort klar, dass ich die Vier aufnehme.“

Und so sitzen wir jetzt oben im neuen Zuhause auf Zeit der Familie Monjako. Eine flüssige Unterhaltung sieht allerdings anders aus. Heidi spricht deutsch und englisch, Julia und Samas ukrainisch und russisch. Hilfreich ist da zwar eine Übersetzungs-App bei wichtigen Fragen, aber wo Empathie und Sympathie im Spiel ist, da verstehen sich die Menschen, wie hier in Wulfen, auch ohne viel Worte. Dennoch ist auch Olga B. bei unserer Unterhaltung dabei, die ständig zwischen russisch und deutsch wechselt, übersetzt, zurückübersetzt und mir dabei aus Versehen auch Antworten auf Russisch gibt. Olga ist selbst vor vielen Jahren nach Deutschland gekommen. Sie kann sich daher gut in die Situation der Geflüchteten hineinversetzen. „Eine fremde Umgebung, eine andere Sprache, da ist man erst einmal überfordert. Daher war es für mich selbstverständlich, jetzt meine Hilfe als Übersetzerin anzubieten“, betont die liebeswerte Russin.

„Dass wir willkommen sind, merkten wir von Anfang an“, freut sich Julia. Ihre Gestik und ihre Augen unterstreichen diesen Satz, sodass Olga ihn nicht hätte übersetzen müssen. „Wir haben hier nur freundliche Leute getroffen und werden auch in jeder Hinsicht unterstützt, aber wir haben großes Heimweh. Наша благодарность не может быть выражена словами: Unseren Dank kann man nicht mit Worten ausdrücken“, beteuert sie und wischt sich eine Träne aus ihrem Auge. Diese Dankbarkeit berührt jeden von uns. 

Nachdem sie zehn Tage im Keller eines Krankenhauses in Kiew verbracht hatten, machte sich die Familie auf den Weg ins Ungewisse. Sie ließen alles zurück: ihre Mutter, ihr Haus, ihr Lebensmittelgeschäft, ihr Leben. Zum Glück durfte zumindest Ramas ausreisen, da er einen georgischen Pass hat, ansonsten hätte er sein Land nicht verlassen dürfen. So konnte er seiner Frau und seinem Sohn auf der fünftägigen Flucht, bis sie das Flüchtlingsheim erreichten, hilfreich zur Seite stehen.

Foto oben rechts: (v. l.) Ramas Monjako, Heidi Müller und Julia Monjako

Waren Julia und Ramas nun in Sicherheit, begann für Heidi eine Odyssey mit unzähligen Telefonaten, Besuchen bei Ämtern und sonstigen Fahrten. „Ich habe mich natürlich dafür eingesetzt, dass Julia und Samas Geld vom Staat bekommen, dass sie zum Arzt gehen können und David die Kita besuchen kann. Dass das aber so viel Rennerei bedeuten würde, damit habe ich natürlich nicht gerechnet“, berichtet die engagierte Friseurmeisterin aus Wulfen. „Hinzukommt, dass uns vom Sozialamt zuerst nicht geholfen wurde. Da wir die drei privat aufgenommen haben, hätten wir eine Bürgschaft für drei Monate hinsichtlich Verpflegung und ärztlicher Betreuung übernehmen müssen“, fährt Heidi verärgert fort. So starteten sie und ihr Partner einen privaten Aufruf und Bekannte und Freunde brachten daraufhin Lebensmittel vorbei und fuhren zur Kleiderkammer. Zum Glück half später das Ausländeramt weiter und das Sozialamt übernahm doch noch die anfallenden Kosten.

Ramas hat schnell einen Job bei einer Fast-Food-Kette gefunden, auch wenn es für ihn bedeutet, dass er täglich 35 Minuten mit einem altersschwachen Drahtesel bei Wind und Wetter nach Rhade und zurückfahren muss. Nun ist Heidi Müller auf der Suche nach einer Arbeit für Julia, möglichst ihren Interessen entsprechend: Backen, Haushalt und Garten. Der fünfjährige David hat bereits einen Platz in der KiTa St. Barbara. Dort fühlt er sich wohl, zumindest wenn seine beiden ukrainischen Freunde da sind. Dort kann er für kurze Zeit einfach nur Kind sein und das Erlebte vergessen.
Nachdem sich Heidi um die Impfungen der Familie gekümmert hat, steht demnächst mit Anfissa der Besuch beim Tierarzt an. „Julia, Ramas und David sind sehr angenehme Mitbewohner, aber ich bin dennoch froh, wenn alles seinen geregelten Gang geht und für mich wieder etwas Ruhe einkehrt. Dennoch bereue ich es absolut nicht, die vier aufgenommen zu haben.“

„Trotz aller Anteilnahme möchten wir wieder nach Hause. Aber erst, wenn Ruhe herrscht, denn das, was wir in unserer Heimat erlebt haben, das möchten wir nicht noch einmal durchmachen müssen“, betont Julia. Auch wenn wir nicht nachvollziehen können, was es heißt, auf der Flucht vor dem Krieg zu sein, so haben diese Worte dennoch eine große Wirkung auf uns.

Foto oben rechts: Heidi Müller  hat es nicht bereut die ukrainische Familie aufgenommen zu haben

Text: Martina Jansen
Fotos: Christian Sklenak

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