Vera Seedorf: Percussion-Wunderkind aus Holsterhausen

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Vera Seedorf: Percussion-Wunderkind aus Holsterhausen

Ein Zirkusbesuch beeinflusste ihr Leben

Nicht die Clowns oder die Artisten hatten es der damals Dreijährigen beim Zirkusbesuch angetan. Nein, ihr Interesse galt den Schlagzeugern, die mit ihren Trommelwirbeln für Aufmerksamkeit sorgten.

„Bei uns zu Hause war es üblich, dass jeder von uns ein Instrument lernen durfte. Mein Bruder Viktor wählte die Geige, meine Schwester Merete das Klavier und ich natürlich das Schlagzeug“, schmunzelt Vera Seedorf in Erinnerung an den Zirkusbesuch vor 21 Jahren. Ihre Mutter Vivian Seedorf ergänzt: „Für mich gehört es mit zur Allgemeinbildung Noten zu lesen und ein Instrument spielen zu können. Man muss dafür Geduld aufbringen und auch etwas zu Ende bringen. Das hilft im Alltag enorm weiter.“

Geduld hat Vera Seedorf, die in ihrer 20-jährigen musikalischen Karriere sehr viele Erfahrungen sammeln konnte – am Ende ihres musikalischen Weges ist sie jedoch noch lange nicht.

Der Werdegang der begabten Musikerin begann 1998 mit vier Jahren. Damals bekam sie Schlagzeugunterricht in der Dorstener Musikschule und gewann auf Anhieb drei Jahre später den Wettbewerb „Jugend musiziert“. Das klassische Schlagzeug bei den „Jugend-Musiziert-Wettbewerben“ besteht unter anderem aus Marimbaphon, Pauken und verschiedenen Trommeln in einem Setup, das die Musiker nach Vorgabe der Noten zusammenstellen.

Der damals siebenjährigen Vera gingen die Instrumente gerade mal bis zum Kinn. Zudem wog sie auch zu wenig, um das Pedal zum Stimmen der Pauke zu treten. Also erledigte dies der damalige Musiklehrer Herr Siepmann für seine Schülerin, schob Vera anschließend mit ihrem Hocker ans Schlagzeug und sie konnte endlich beginnen. „Bevor Vera  den ersten Ton spielte, hatte sie bereits das Publikum ganz auf ihrer Seite und die Zuhörer haben sich köstlich amüsiert“, erinnert sich Vivian Seedorf.

Foto oben rechts: Vera Seedorf mit einem ihrer Lieblingsinstrumente

Da Vera viel Spaß am Spielen hatte, nahm sie mit neun Jahren erneut am Solowettbewerb teil, den sie auch gewann. Nach diesem erneuten Sieg wusste Vera Seedorf: „Ich kann das!“ – und räumte seitdem ab, wo immer sie auch antrat. Erste und zweite Plätze waren ihr stets sicher.
Fünf Jahre später wechselte die Holsterhausenerin an die Folkwang Musikschule Essen zu Prof. Christian Roderburg und wurde aufgrund ihrer besonderen musikalischen Begabung in das dortige Förderprogramm aufgenommen. Hier entwickelte sie sich weiter und blieb bis 2009 an der Musikschule.
Mit 15 Jahren nahm Prof. Roderburg die talentierte Schlagzeugerin als Jungstudentin an der Hochschule für Musik und Tanz Köln, Standort Wuppertal, auf. Ein Jahr später belegte sie den ersten Platz mit Höchstpunktzahl beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“. Ganze 20 Minuten dauerte diese Prüfung. Um so weit zu kommen, übte – und übt die herzliche Musikerin immer noch – täglich vier bis sechs Stunden, wobei es auch schon mal acht oder zehn Stunden werden können. Geprobt wurde erst zu Hause in ihrem Zimmer („Zum Glück haben wir verständnisvolle Nachbarn.“), mittlerweile geschieht dies jedoch im Schlagzeugkeller der Uni.

Im Jahre 2013 startete die heute 24-Jährige ihr Studium an der Musikhochschule Lübeck bei Prof. Johannes Fischer, einem der jüngsten Professoren Deutschlands. Er erkannte früh das Können Veras und nannte sie zu Recht „Das Percussion-Wunderkind“.
Wenn Sie vorhin beim Lesen über die reine Spielzeit von 20 Minuten beim Wettbewerb erstaunt waren, dann werden Sie es jetzt erst recht sein: Ihre Prüfung zum Bachelor of Music, am 10. Juli vergangenen Jahres, bestand unter Anderem aus einem 45-minütigen, öffentlichen Konzert, in dem sie vier Werke ihrer Wahl vortrug. Eines davon war „Wolkenstudie“, eine Komposition ihres Professors.
43 für dieses Stück vorgegebene Instrumente musste Vera Seedorf verwenden und spielen. Neben gängigen Musikinstrumenten besorgte sie sich zusätzlich vom Schrottplatz Sprungfedern eines Autos, probierte in Baumärkten die Klänge verschiedener Wand- und Bodenfliesen aus und trocknete einen Kürbis, den sie halbierte und für den besonderen Klang in ein gefülltes Wasserfass legte. Alle Instrumente baute sie anschließend so um sich herum auf, dass sie sie während des Spiels gut erreichen konnte. „Das muss schon zentimetergenau passen, sonst ist der Spielfluss nicht mehr gewährleistet“, so die Bachelorandin. Selbst die Auswahl der Schuhe ist wichtig. Abgesehen davon, dass sich die junge Musikerin darin 40 Minuten schnell hin und her bewegen muss, dürfen sie dabei natürlich auch nicht quietschen.

„Ich war nass geschwitzt und vollgepumpt mit Endorphinen“, blickt die Musikerin auf ihre mit der Note 1,0 bestandene Prüfung stolz zurück.

Foto oben rechts: Die Anordnung der zahlreichen Instrumente muss genau durchdacht sein

Haben Sie liebe Leserin, lieber Leser schon einmal versucht mit Stäbchen zu essen? Dann können Sie sicher nachvollziehen, was es heißt, mit vier verschiedenen Schlägeln unabhängig voneinander gleichzeitig an vier unterschiedlichen Instrumenten zu spielen. Erschwerend kam bei der Prüfung zum Bachelor of Music noch dazu, dass die Geprüfte während des Stückes mehrmals die Schlägel wechseln musste, sodass Vera Seedorf sich vorher genau überlegen musste, wie und wo sie den Wechsel am besten einbaut.
Damit aber immer noch nicht genug: Nicht nur die Unabhängigkeit der beiden Hände war gefragt, nein, es kam zusätzlich noch der Fuß dazu, der das „Tam Tam“, den ostasiatischen Gong, schlug. „Rückblickend kann ich sagen, dass die Zeit des Konzertes wie im Fluge verging. Ich war so fokussiert, dass ich an nichts anderes dachte“, so Vera Seedorf.

Und was ist, wenn ihr der Schlägel aus der Hand rutscht? „Dann hat man’s nicht mehr in der Hand“, lacht Vera Seedorf.

Die Schlagzeugerin hat genaue Ziele über ihr weiteres musikalisches und berufliches Leben. In zwei Jahren möchte sie ihren Master of Music bestehen, danach für zwei Jahre ins Ausland gehen und anschließend gerne in einem Ensemble spielen und experimentieren.
Bis dahin reicht sie ihr Wissen gerne an die Grundschüler in Lübeck weiter und unterrichtet sie seit zwei Jahren in Percussion.

Von Vera Seedorf werden wir sicherlich noch einiges hören – und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Foto oben rechts: Im Übungskeller ihrer Uni kann Vera ungestört proben

Auftritte vor Publikum hat sie zur Genüge

Kleiner Auszug ihrer Erfahrungen:

2007 bis 2010: Mitglied des Essener Jugend-Symphonie-Orchesters
2010 bis 2015: Mitglied im Landesjugendensemble „Studio musikFabrik“ für neue Musik in NRW
2010 bis 2013: Stipendiatin der Jürgen-Ponto-Stiftung
2014 bis heute: Mitglied des Percussion-Duos  „Störsignal“
seit 2009: Teilnahme an mehreren Wettbewerben und Konzerten

Text: Martina Jansen
Fotos: privat

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