Teller statt Tonne

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Teller statt Tonne

Familie Johannsen rettet als Foodsaver Lebensmittel

Freitagabend, 19:15 Uhr: Dieter Johannsen, Pascal Hardt und Cesar Arturo fahren auf den Hof der Dorstener Arbeit am Holzplatz. Ihre Autos sind vollgepackt mit etwa 25 Bananenkisten diverser Lebensmittel. Unten an der Auffahrt versammeln sich bereits einige Dorstener Bürger, die ab 19:30 Uhr, wenn die Lebensmittel ausgepackt und gesichtet wurden, die Waren kostenlos mitnehmen können. Es hat sich herumgesprochen, dass die Foodsaver dienstags und freitags mit neuen Lebensmitteln kommen, um den Verteiler aufzufüllen.

Nicky Johannsen hat die Idee des Lebensmittelrettens nach Dorsten gebracht. Sie lernte in Australien das illegale „Mülltauchen“, kennen. „Ich war mehr als erstaunt, wie viel gut aussehende und frische Lebensmittel abends auf dem Tisch lagen“, erinnert sich die junge Hervesterin. Wieder zurück in Deutschland, ließ Nicky Johannsen das Thema nicht los und sie suchte Wege, um diese Verschwendung von Lebensmitteln einzudämmen. Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft landet mittlerweile jedes achte gekaufte Lebensmittel in der Mülltonne. Das war und ist der jungen Studentin eindeutig zu viel. „Ich konnte nicht einfach zusehen, wie gutes Obst, Gemüse und auch Fleisch in der Müllverbrennung landen, während andere Menschen Hunger leiden“, erzählt Nicky. Sie fand auf der Webseite foodsharing.de Menschen, die sich auch dafür einsetzen, Lebensmittel vor der Tonne zu retten – und das auf legalem Wege, denn in Deutschland ist das „Containern“ ebenfalls verboten und wird bei einer Anzeige als Diebstahl oder Hausfriedensbruch gewertet – und das bei Lebensmitteln, die auf dem Müll landen würden.

Foto oben rechts: Karin und Nicky Johannsen, Lebensmittelretter aus Dorsten

Nachdem die Umweltschützerin ihre Eltern und Geschwister von ihrer Idee überzeugte, sie daraufhin diverse Gespräche mit der Stadt, der Dorstener Arbeit und der Tafel führten, stand für Familie Johannsen fest: Wir befüllen auch in Dorsten einen Raum, aus dem sich jeder abgelaufene Lebensmittel gratis nehmen kann. Große Unterstützung für den Aufbau des Verteilers erhielten sie dabei vor allem von der Dorstener Arbeit.
Dieter, Karin und Nicky Johannsen stellten bei der Stadt einen Antrag auf 500 Euro Fördergeld, kauften für ihren Eigenanteil von 20 Prozent einen Kühlschrank, ließen Flyer drucken und füllten am 6. Dezember 2018 zum ersten Mal offiziell den „Fair-Teiler“.

Seitdem verbringen sie mit weiteren Foodsavern zweimal wöchentlich jeweils rund drei Stunden mit dem Abholen der Lebensmittel, dem Einräumen und anderen Tätigkeiten rund um das Thema „Lebensmittelretten“. Die Nahrungsmittel holen die Foodsaver von der Dorstener Tafel ab, die die gespendeten Lebensmittel, deren Haltbarkeitsdatum überschritten wurde, nicht mehr verkaufen dürfen. Hedwig Schnatmann packt dazu zweimal wöchentlich alle Waren abholfertig in Kartons. Aber auch der Biohof Deiters aus Schermbeck wirft abgelaufene Produkte nicht weg, sondern übergibt sie den Lebensmittelrettern. Selbst von der Stiftsquelle erhalten sie Mineralwasser. Ja, auch Mineralwasser hat ein Haltbarkeitsdatum.

„Wir können das aber langsam nicht mehr alleine stemmen“, bedauert Karin Johannsen. „Es wäre daher schön, wenn wir ein wenig ehrenamtliche Hilfe bekommen würden.“ Aber auch weitere interessierte Unternehmen können sich gerne bei der engagierten Familie melden.

Es heißt „Mindestens haltbar bis“ und nicht „Tödlich ab“. Daher sind die meisten Lebensmittel Tage oder auch Wochen nach dem Haltbarkeitsdatum noch durchaus schmackhaft und vor allem nicht gesundheitsgefährdend. „Ich ernähre mich jetzt seit etlichen Jahren immer wieder auf diese Weise und bin davon noch nie krank geworden“, bemerkt die 23-Jährige. Dennoch ist jeder Bürger, der sich aus dem Verteiler bedient, für sich selbst verantwortlich. „Wir können nicht haftbar gemacht werden, falls ein Lebensmittel nicht mehr ganz in Ordnung war“, so Karin Johannsen und ihre Tochter ergänzt: „Jeder muss seine drei Sinne einsetzen: sehen, riechen, schmecken, dann weiß man, ob das Gemüse, das Fleisch oder der Joghurt noch genießbar sind.“

Der kleine Verteilerraum verbirgt sich unscheinbar hinter einer großen Tür auf dem Gelände der Dorstener Arbeit. Gut gefüllt war er am Dienstagabend, jetzt sind nur noch wenige Reste da. Heute wurden die Regale wie erwähnt neu aufgefüllt: Wurst, Käse, Salate, Milch, Joghurt, Obst und Gemüse, alles ist in großer Anzahl vertreten.

Auch sind hier alle Altersklassen und soziale Schichten anzutreffen und jeder hat sein Argument, warum er hier ist: die Umwelt schonen, Lebensmittel nicht verschwenden oder seinen Geldbeutel schonen. Wie dem auch sei: Der Raum ist gut gefüllt und wartet auf die nächsten Besucher, die den Wert dieser Lebensmittel schätzen.

Foto oben rechts: Karin, Dieter und Nicky Johannsen bestücken den kleinen Raum mit geretteten Lebensmitteln

Foodsharing - verwenden statt verschwenden

Im Rahmen der Frauenkulturtage wird Nicky Johannsen am 19. Februar einen Vortrag über Foodsharing halten. Die Foodsaver würden sich sehr über die Teilnahme, aber auch Spenden freuen, um davon eine Markise über der Tür anzubringen, damit niemand im Regen stehen muss, oder um einen weiteren Kühlschrank und Klappbänke anzuschaffen. Leider können sie keine Spendenquittungen ausstellen und würden sich daher gerne einem Verein anschließen.

Weitere Infos bei Botschafterin Nicky Johannsen unter dorsten@lebensmittelretten.de

Text: Martina Jansen
Fotos: Christian Sklenak

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