HIMALAYAN 100 Mile Stage Race 2016

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Ich habe vor Jahren von einem 100 Meilen Rennen im Himalaja gelesen

Extremsportler Rainer Kauczor war wieder einmal unterwegs

Ich habe schon viele Läufe, Marathon, Ultramarathon und „völlig abgedrehte und verrückte" Läufe gemacht. Ich lief in Berlin, Paris, Rom, Florenz, 2 x in New York, in Hawaii, einen Marathon auf der chinesischen Mauer, einen im Bergwerk 700 m unter Tage. Ich rannte bei minus 35 Grad den Sibirien Eismarathon in Omsk und überquerte der im Winter den Baikalsee. Das ich lief noch nie im Gebirge lief, es wurde Zeit dieses zu ändern. Aber der Reihe nach...

Vor Jahren las ich in der Zeitung von einem 100 Meilen Rennen im Himalaja. Ich war begeistert. Bei all meinen abenteuerlichen Reisen bzw. Läufen fing es genau so an, ich habe davon gelesen und war begeistert. Vor 4 Jahren lies ich mir die Unterlagen vom Veranstalter zusenden. Das Problem war: 1. Ich hätte gern jemand, der mit mir empfindsam so eine Reise macht, 2. Der Termin war immer sehr ungünstig, da wir mit unserer Firma immer zur gleichen Zeit Messe hatten.

Ich habe vor Jahren von einem 100 Meilen Rennen im Himalaja gelesen

Im letzten Jahr war es soweit, der Termin passte und ich konnte meinen österreichischen Freund Dieter überreden mich zu begleiten. Dieter habe ich in Omsk beim Sibirien Eis Marathon kennen gelernt und ein Jahr später mit ihm im Winter den Baikalsee überquert. Am Donnerstag den 20.10. ging es von Düsseldorf via Frankfurt nach Delhi. Der Tag fing allerdings besch... an. Auf dem Weg zum Flugplatz Düsseldorf kam mein Taxi bei Oberhausen in einen Stau , ein zweiter sollte ab dem Autobahnkreuz Breitscheid folgen. Die Maschine sollte um 11:40 abfliegen, doch um 9:30 bekam ich dann eine Email von der Lufthansa, der Flug ab Düsseldorf wäre gecancelt. Ich rief dort an, kam in eine Warteschlange, 10 Minuten lang.

Überall hingen Begrüßungsplakate und Banner über der Straße

Dann sagte mir die freundliche Dame, ich kann die Maschine um 10:35 nehmen. Ich stand im Stau, vor mir noch ein Stau. Ich musste um 10 Uhr spätestens am Schalter sein. Eigentlich nicht möglich. Dank der Benutzung des Standstreifens war ich um 10:03 Uhr da. Ich wurde noch eingecheckt, da man der Maschine kurzerhand eine Verspätung von 20 Minuten zuschrieb, da noch andere Reisende das gleiche Problem hatten wie ich. Das Abenteuer begann.

Der erste Tag in Delhi war heiß, 35 Grad. Wir hatten eine Tour durch New Delhi und Old Delhi gebucht. Alles lief super, Dieter bekam den ersten Kulturschock in Alt Delhi. Verkehrschaos überall, es ging nichts, nur Gehüpfe auf den Straßen, Gebrüll und Hitze. Es ging weder vor noch zurück - eben eine andere Welt. Am nächsten Tag flogen wir weiter nach Bagdogra, im Gebiet Darjeeling. Der kleine Ort Mirik war das Ziel unserer Reise. Überall hingen Begrüßungsplakate und Banner über der Straße. Mirik begrüßte 41 Verrückte, die nichts besseres zu tun hatten, als 100 Meilen quer durch den Himalaja zu laufen.

Uns war nicht ganz klar, was da auf uns zukommt

Eine Besichtigung Darjeelings folgte am Sonntag und am Abend stand uns dann das große Briefing zum Rennen bevor. Uns war zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz klar, was da wirklich auf uns zukommt.

Montag morgens um Punkt sechs Uhr ging es los. Mit dem Jeep nach Maneybhanjang (zwei Stunden Fahrt). Dort gab es eine große Zeremonie mit Musik und Tanz. Schüler der örtlichen Schule gaben jedem Teilnehmer einen Schal der nach hinduistischem Glauben Glück bringen sollte. Es war schon der Zweite, am Tag zuvor beim Briefing haben wir auch einen bekommen, bräuchten wir so viel Glück? Dann es ging los. 41 Läufer aus zwölf Nationen hatten nichts besseres zu tun, als in den nächsten fünf Tagen 100 Meilen quer durch den Himalaya zu laufen. Wir mussten durch den Ort rennen, dann links ab und von nun an ging es bergauf, immer bergauf. Es ging überhaupt nur noch bergauf. Zwölf Kilometer weit nur bergauf. Auf diesen zwölf Kilometern wurden über 1.400 Höhenmeter überwunden. Ich merkte schnell, dieser Tag wird nicht lustig. Wir sind auf 1.600 Meter gestartet und waren nach über drei Stunden auf über 3.000 Meter. Dann ging es wieder runter auf 2500 Meter. Die Strasse, bzw. der Weg, war unbeschreiblich. Er bestand aus Felsen, so groß wie Medizinbälle. Jeder Schritt musste genau überlegt werden, sonst hätte man sich die Knochen gebrochen oder die Bänder gerissen. Es ging entlang der indisch-nepalesischen Grenze. Indische Soldaten standen alle 100 Meter und feuerten uns an, es war unwirklich. Dann, nach 33 Kilometern und über sieben Stunden Laufzeit, ich war "kaputt wie ein Hund", kam wieder eine Verpflegungsstation. Der freundliche Mensch sagte mir, er habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Ich bat zuerst um die Gute, "es sind nur noch fünf Kilometer" und dann um die Schlechte, "er zeigt fast senkrecht nach oben und sagte mir, da müsste ich hin". Auf fünf Kilometern Wegstrecke ging es über 1.000 Meter hoch. Unglaublich, ich hätte heulen können. "Nur noch zwei bis zweieinhalb Stunden." sagte er lächelnd und er meinte es nicht einmal böse. Seit diesem Moment verstehe ich in gewissem Sinne Menschen, die im Affekt jemanden etwas antun.

Die letzten twei Stunden waren schlimm, wirklich schlimm. Unglaublich steil hoch, rechts der Abhang, da ging es runter, richtig runter, einen Schritt nach links und ich wäre illegal in den Nepal eingereist. Der "Weg" ca. drei Meter breit. Es wurde dunkel. Ich konnte kaum mehr als 15 Meter weit gehen ohne stehen zu bleiben und mich erschöpft auf meine Trailstöcke abzustützen, da mir sowohl Kraft als auch Luft fehlte. Die letzten 500 Meter wurden wir von Soldaten begleitet, die uns mit Taschenlampen leuchteten, denn es war stockdunkel. Ich war unterwegs mit dem Argentinier Carlos, seine Frau war bei Kilometer 25 entkräftet zusammengebrochen. Zum Glück war sofort der Arzt zur Stelle, da wir immer wieder von Jeep Fahrzeugen des Veranstalters "kontrolliert" wurden. Er lief "den Rest der Strecke" von vier Stunden gemeinsam mit mir.

Nach fast 10 Stunden waren wir im Ziel, fast 3.700 m Höhe, 0 Grad.

Ich würde zu unsere Unterkunft begleitet, einer Sherpa Hütte. Dort lag im Bett (haha, ein Brett mit eine Decke drüber) seit einer halben Stunde mein Partner Dieter, der mit sofort verkündete "für mich ist Schluss".
Ich war sehr erstaunt über diese Aussage, schließlich kannte ich Dieter als "harten Hund", der so nicht so schnell das Handtuch wirft. Dieter erklärte mir, er habe zum ersten mal im Leben richtig Angst gehabt. Seine Begründung: Die letzten eineinhalb Stunden konnte er nicht mehr. Er ging 10 bis 15 Meter und musste sich auf seine Stöcke aufstützen. Dann wäre ihm jedes Mal schwindelig geworden. Er hatte Angst, dass er ohnmächtig wird und mit dem Kopf auf die Steine knallt. Zwei Meter weiter rechts wäre er abgestürzt. Somit ging er immer innen, an der Bergwand entlang. "Ich hatte Angst, richtig Angst" verkündete er mir.
Im Zimmer war noch ein Amerikaner, dafür aber keine Heizung, die gab es hier nicht. Eine Toilette übrigens auch nicht, es gab ein Klo, aber ohne Wasserspülung. Wasser gab es draußen im Fass, vom Dach aufgefangenes Regenwasser. Wasser gab es nur dort im Fass, womit sich auch die Frage der Dusche erledigt hatte.
Nachts habe ich vielleicht eine Stunde geschlafen. Ich habe gemerkt, das mir beim Atmen Luft fehlte, mir tat alles weh und es war kalt. Eine äußerst unangenehme Nacht.

Am nächsten morgen ging es um sechs Uhr weiter, 32 Kilometer standen auf dem Programm. Ich konnte Dieter überzeugen weiter zu machen. Also liefen wir wieder mehrere hundert Höhenmeter rauf und runter um am Ende wieder am Ausgangspunkt in Sandakphu anzukommen. Eine weitere Nacht in der Kälte. Es gab zwar etwas zu essen, aber keine Tische. Der Teller befand sich auf unserem Schoß, auch eine neue Erfahrung. Aber dass es keine Heizung gab, nirgends hier oben, das war verdammt hart.

Am dritten Tag sollte es über 43 Kilometer gehen. Dieter hatte gestern Abend erklärt heute eine um 13 Meilen kürzere Version des für heute vorgesehenen Laufes zu absolvieren. Die Begründung lag darin, dass es wieder auf der selben Strecke losging wie gestern. Die ersten 16 Kilometer waren mit den 16 Kilometerv von gestern identisch. Das wäre das Dritte mal gewesen, das wir den gleichen Weg laufen. Das musste Dieter nicht haben. Ich habe bis um 5:45 Uhr morgens unschlüssig überlegt, ob ich auch die kürzere oder die längere Version wählen soll. Auf Grund der Kälte entschied ich mich dafür mit Dieter die 13 Meilen kürzere Version zu wählen. Es ging also nicht 16 Kilometer geradeaus mit einigen hundert Höhenmetern rauf und runter sondern direkt durch den Djungel bergab Richtung Rimbik. Dann passierte es, ein unachtsamer Schritt im bergab gehenden rutschigen Djungel, der echte Fuß knickte um 90 Grad um und wurde sofort dick. Dieter, der direkt hinter mir war, sagte, es hätte schlimm ausgesehen, eigentlich müsste alles kaputt sein. Zum Glück war es nicht so schlimm. Der Doktor verordnete mit "Painkiller", die ich nicht wollte und nicht nahm, und heißes Salzwasser, warum auch immer. Ich fand das mit dem Wasser gut, weil es anders war, es war heiß.

Nicht unzufrieden mit dem 1. Platz der Senioren

Am nächsten Tag ging es für Dieter wieder "normal" weiter. Mein Fuß war dick, ich sollte eine Bandage bekommen. Der Doktor hatte allerdings keine in meiner Größe. Also ganz normal ohne Bandage weiter. Am vierten Tag ging es von Rimbik, dem gestrigen Ziel, los. Wir liefen "nur" 22 Kilometer, die Hälfte bergab, dann wieder bergauf (je ca. 1.200 Höhenmeter), aber das war ja nichts Neues mehr für uns. Mein Fuß hielt!

Der letzte Tag begann wieder in Rimbik. Rein in den Jeep, an die Ziellinie des gestrigen Tages und weiter ging es. Es sollten 28 Kilometer werden. Die ersten 10 Kilometer ging es wieder einmal nur bergauf. Es war zum "blödsinnig" werden. Bergauf, nur bergauf. Die Beine wollten nicht mehr, die Muskulatur brannte wie Feuer. Dann endlich die Spitze des Berges. Jetzt nur noch 16 Kilometer bergab, bzw. mit kleinen Steigungen, nach Mirik. Zwei Stunden später war es soweit. Ich erreichte Mirik - dort war das Ziel. Ich konnte es hören und sehen. Volksfeststimmung war angesagt, bei mir im Kopf und auf der Ziellinie. Ein indische (oder nepalesische) Kapelle empfing die Teilnehmer. Eine Schulklasse mit kleinen Fähnchen stand Spalier. Ich hatte Tränen in den Augen, als ich mit meiner Deutschlandfahne langsam und bedächtig, den Moment genießend, Richtung Ziel schritt. Da war das Zielband. Es wurde für jeden der 41 Teilnehmer gespannt. Ein Schritt, geschafft, ich war im Ziel. Alles jubelte, applaudierte und gratuliert. Dieter war schon da und sagte mir: "Komm, wir gehen ein Bier trinken"! Genau das brauchte ich in diesem Moment,ein Siegerbier.

Fazit: Ein traumhaftes, wenn auch extrem hartes Erlebnis unter Gleichgesinnten, bzw. "Verrückten". Sehr liebevoll begleitet durch die Staff von Mr. Pandey, dem Race Direktor und gleichfalls der guten Seele des Laufes. Eine wunderschöne Landschaft am Fuße des Mount Everest. Wir liefen im Schatten von vier der fünf höchsten Berge der Welt, nur der K2 fehlte.

Abends war Siegerehrung. Platz 26 der Gesamtwertung und völlig überraschend wurde ich von Mr. Pandey, dem Race Direktor und "Guten Geist" der Veranstaltung nach vorn gerufen. Ich hatte doch glatt den 1. Platz der Senioren belegt. Ich war nicht unzufrieden...

Rainer Kauczor (Klein-Reken)

Fotos: Silvia Vogg, privat

Zurück