Hilfs-Therapeuten mit kalter Schnauze
von Martina Jansen (Kommentare: 0)
Hilfs-Therapeuten mit kalter Schnauze
Tiergestützte Therapie im AWO-Seniorenzentrum Barkenberg
Seit zehn Jahren behandelt Angeliqué Przystawik täglich im Seniorenzentrum Barkenberg einige der dortigen Bewohner. Jeder Fünfte der exakt 100 Bewohner nimmt dieses Angebot an und freut sich jedes Mal auf die Therapiestunde mit ihr. Angeliqué Przystawik ist Physiotherapeutin der Praxis Grube in Lembeck, die als einzige Praxis im Umkreis seit Jahren die tiergestützte Therapie anbietet.
Seit die Therapeutin die mittlerweile neunjährige Australian-Shepherd-Hündin Megan vor vier Jahren von einer Bewohnerin „übernommen“ hat, sind sie und ihr zweijähriger Nachwuchs Mina stets an ihrer Seite. „Meine Begleiter sind hier mittlerweile so bekannt, dass es auffällt, wenn ich ohne sie ins Haus komme“, weiß die Therapeutin aus Gesprächen mit Bewohnern.
Arven Limani vom sozialen Dienst des Seniorenzentrums, die sich um die Freizeitangebote und sonstigen Belange der Bewohner, kurz um alles Nichtmedizinische, kümmert, begrüßt ausdrücklich die Tiertherapie. „Ich unterstütze zu 100 Prozent die tiergestützte Arbeit von Angeliqué Przystawik“, so die Ergotherapeutin. „Durch die optimale Kooperation zwischen Hausarzt, Therapiepraxis, Krankenkasse und unserer Verwaltung können wir allen Bewohnern diese Möglichkeit anbieten, sofern sie es wünschen.“
Foto oben rechts: Angeliqué Przystawik mit Megan und Mina
Heute wartet Peter Kalläne in seinem Zimmer auf seine Physiotherapeutin mit ihren beiden verspielten Hündinnen. Seit einem Schlaganfall vor neun Jahren wohnt der Pressesprecher, und zugleich erster Vorsitzender im Vorstand des Bewohnerbeirates, hier im Seniorenzentrum. Von Anfang an wurde er hier von Angeliqué Przystawik behandelt.
Peter Kalläne, der früher selbst einen Hund besaß, freut sich über den Besuch, gibt den beiden Fellnasen ein Leckerchen und streichelt ihnen über das weiche Fell. Der 69-Jährige ist ausgehfertig und muss nicht dazu ermuntert werden, die Treppen nach unten zu gehen, etwas frische Luft zu genießen und Megan und Mina beim Rumtollen auf der Wiese zuzusehen.
„Aber nicht jeder meiner Patienten ist so motiviert wie Herr Kalläne“, bedauert Angeliqué Przystawik. „Es passiert nicht selten, dass die Senioren nicht aufstehen oder nicht laufen möchten, aber meine beiden vierbeinigen Helfer geben ihnen einen echten Motivationsschub.“
Die Senioren haben durch sie wieder einen Grund, das Bett zu verlassen und aktiv zu werden. Sei es, dass sie ein Spielzeug werfen, bestimmte Bewegungen nachmachen oder ihnen auch einfach nur mit Blicken folgen. „Auch wenn die Therapie mal etwas schmerzhafter ist, animieren die beiden meine Patienten zum Durchhalten. Ein Blick in die großen braunen oder eisblauen Augen der verspielten Vierbeiner und schon sind sie etwas abgelenkt“, fährt sie fort.
Wieder zurück im Warmen, beginnt Angeliqué Przystawik behutsam, Peter Kallänes gelähmte Hand zu bewegen. Rechts und links von ihm sitzen die beiden Hündinnen und schauen ihn an. Immer wieder greift die linke Hand des Seniors ins weiche Fell und krault die zwei.
Die tiergestützte Therapie ist als begleitende Therapieform anerkannt und bringt den Patienten etliche Vorteile. „Ich sehe regelmäßig, dass sich Körperhaltung und Mimik der Bewohner ändern, wenn sie von meinen Begleithunden freudig begrüßt werden – und aus Lethargie wird plötzlich wieder Lebensfreude“, bestätigt die freundliche Krankengymnastin die Erfolge dieser alternativen Behandlung.
Die Hunde nehmen alle Bewohner so an wie sie sind, ohne Vorbehalte, ohne Zurückweisung.
Megan und Mina genießen die zusätzlichen Streicheleinheiten, aber auch die Bewohner, die oft nur noch wenig Körperkontakt haben, spüren wieder die Wärme eines Lebewesens. „Auch das gibt unseren Bewohnern mehr Lebensqualität“, freut sich Arven Limani.
Foto oben rechts: Peter Kalläne freut sich sichtlich über den Besuch von Angeliqué Przystawik mit ihren treuen Begleitern
Bevor die treuen Gefährten ihr Frauchen begleiten durften, mussten sie zusammen mit ihr an der Ausbildung zum Therapiehund teilnehmen. Der Australian Shepherd ist ein Hütehund, der seine „Familie“ stets umkreist und zusammenhält. In der Ausbildung mussten die cleveren Hunde jedoch lernen, sich nun zurückzunehmen und hinter den Patienten zu laufen, damit diese nicht über sie stolpern. „Mir öffnen sich durch Megan und Mina Türen und ich bekomme einen ganz anderen Zugang zu demenzkranken Patienten. Sie erinnern sich beim Anblick meiner beiden an ihren eigenen Hund und lächeln plötzlich“, freut sich Angeliqué Przystawik über die kleinen Erfolge, die ihre Vierbeiner bewirken. Auch durch die direkte Kommunikation mit den Hunden über „Sitz“ und „Platz“ nehmen die Bewohner wieder etwas aktiver am Alltag teil. In diesem Jahr ist noch ein Ausflug mit allen Patienten zum Reiterhof „Erler Heide“ geplant. Auch dort gibt es die tiergestützte Therapie in Form des therapeutischen Reitens. Einige Kinder des Hofes, die dieses Angebot wahrgenommen haben, werden für ihre Gäste einige Formationen, die Quadrillie-Figuren, reiten. Und ganz gewiss schaffen es an diesem Tag dann nicht nur die Therapeuten mit kalter Schnauze, den Senioren ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Foto oben rechts: Verspielt, lernfreudig und aktiv: die beiden Australian-Shepherd-Hündinnen Megan und Mina
Text: Martina Jansen
Fotos: Christian Sklenak