Ein Gespräch mit einem außergewöhnlichen Menschen

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Ein Gespräch mit einem außergewöhnlichen Menschen

Die etwas andere Lesegeschichte

Rainer Kuehn war mir als Bildhauer zwar ein Begriff, aber als besonderen Menschen habe ich ihn erst bei unserem Gespräch über Grabzeichen wahrgenommen. Dass ich ihm eine eigene Geschichte in der Lokallust widmen wollte, stand da für mich bereits fest.
Ich dachte dabei ursprünglich an eine Geschichte über seine Arbeit als Künstler, aber es kommt anders, wie sich schnell herausstellt. Schon zu Beginn unseres Gespräches stellt Rainer fest, dass er in erster Linie Mensch und danach erst Künstler wäre. Wir kommen auf seine Kunstwerke und zahlreichen Auszeichnungen zu sprechen: auf die Skulptur in Barkenberg, die Stele für die Sternenkinder, den Esel auf dem Kohleweg oder auch die kürzlich erstellten Puzzlesteine auf dem Bürgerbahnhof.
Rainer zeigt mir den Entwurf seiner Skulptur als Erinnerung des fast zehn Jahre zurückliegenden German Wings Absturzes in Frankreich. Rainer wurde damals als einer von 32 internationalen Künstlern von den Verantwortlichen der Fluglinie mit der Bitte angeschrieben, sich an einem Wettbewerb zu beteiligen, um den 149 Opfern ein Erinnerungszeichen zu setzen. „Sie sprachen von 149 Opfern, ich rede allerdings von 150 Opfern, denn auch der Pilot war ein Opfer, Opfer einer Krankheit, die wir mit unserem Verstand nur schwer greifen können“, ist es Rainer wichtig zu erwähnen. Sein Werk war eine neun Meter lange Edelstahlskulptur in Form einer Stecknadel. In dem fast drei Meter messenden Durchmesser des Stecknadelkopfes wäre Platz für Erinnerungsstücke und Wünsche gewesen. Rainers Kunstwerk kam unter die ersten drei, wobei die Siegerskulptur sich meiner Meinung nach nur durch Kleinigkeiten von seinem Werk unterschieden hat. „Ich habe die Stecknadel gewählt, die in aller Welt verstanden wird. Sie gilt als Zeichen des Schmerzes, sie geht unter die Haut, pikst, hält aber auch Stoffe provisorisch zusammen oder lindert und heilt bei der Akupunktur. Gefühle sind nun mal die Basis meiner Kunst.“ Und somit kommen wir wieder auf Rainers zentrales Thema zurück: Emotionen.

Foto oben rechts: Künstler und Steinmetz Rainer Kuehn

„Gefühle sind einer der drei Bausteine ‚physischer Körper‘ sowie ‚Gedankengut‘, also die mentale Ebene“, erklärt mir Rainer und fährt fort: „Ein gesundes Verhältnis zwischen physischer Fitness, Fühlen und Verstand ist wichtig, um im Leben besser klarzukommen. Agieren wir nur mit dem Verstand, dann kann es sein, dass wir unser Leben an die Wand fahren, und nicht verstehen warum.“
Das Gespräch läuft für mich nicht ganz so nach Plan, auf diese Wendung war ich nicht vorbereitet. Aber dass eine Unterhaltung mit dem 55-Jährigen alles andere als planbar und oberflächlich ist, das weiß ich ja bereits, dennoch bin ich leicht verunsichert. Mir war aber bis gerade nicht bewusst, dass Emotionen einen so großen Platz in unserem Leben und in unseren Gedanken einnehmen.

Foto oben rechts: Puzzlesteine am Bürgerbahnhof

Wir setzen uns im Ausstellungsgarten auf zwei Steinthrone, aus Rainers großer Auswahl an Kunstwerken. Für mich stehen sie eindeutig zu nahe zusammen und ich fühle mich unwohl, ich kann nicht nach hinten weg, da die Lehne nicht nachgibt. Das merkt natürlich mein aufmerksamer Gesprächspartner. „Was ist los?“ „Ich fühle mich unwohl, der Abstand zu dir ist mir zu gering.“ „Was genau fühlst du?“ „Wie, was fühle ich? Ich fühle mich unwohl.“ „Fühlst du auch Angst?“ „Wieso sollte ich Angst vor dir haben?“ „Unwohlsein und Angst liegen oft beieinander, du musst und darfst dich ihnen stellen. Atme tief und fühle, wo du die Emotion spürst. Gehe in die Stille, nimm deine negativen Gefühle dadurch wahr und atme, um sie nur als Gefühl wahrzunehmen. Ohne sie bewerten zu wollen.“ „Sag’ mal, bin ich hier auf einer Therapiesitzung?“ Als Antwort lächelt Rainer nur und ich ahne, dass da noch mehr kommen wird.
Und jetzt rückt Rainer auch mit der Sprache raus: Er ist seit 12 Jahren ausgebildeter Transformationstherapeut. „Aha, daher weht der Wind“, denke ich mir und bin nun an diesem Thema interessiert. „Es ist nicht so, dass ich transformatorische Therapien anbiete“, erklärt mir Rainer, „aber ich biete in Sitzungen an, seine eigene Gefühlswelt zu besuchen.“ „Gefühl ist Rainers Stichwort“, denke ich schmunzelnd.

Foto oben rechts: Rainer Kuehn in seinem Ausstellungsgarten

Ist Respekt ein Gefühl? Ich sage ja, Rainer meint nein. Wir reden über Gott und Göttlichkeit, darüber, seine Verantwortung durchs Beten abzugeben, über Zufälle, die es nicht gibt, denn alles ist miteinander verbunden. Kurze Zeit später landen wir beim Thema Chakren und dem Sitz der Gefühle. „Das ganze Leben ist ein Kunstwerk, wir entscheiden über dessen Qualität und haben die Wahl, wie ich mit den Problemen und Ängsten, aber auch mit den Sehnsüchten, die ich habe, umgehe“, bringt es Rainer auf den Punkt.
Meinen Schreibblock habe ich mittlerweile zugeklappt, ich komme kaum noch mit, mir schwirrt der Kopf, ich habe absolut keine Ahnung, wie ich diese Geschichte schreiben soll. Dennoch finde ich unsere Unterhaltung weiterhin interessant.
Zum Schluss erzählt Rainer mir noch, wie er seinem kleinen inneren Kind in diesem Jahr einen über 35 Jahre lang gehegten Wunsch erfüllte, genaugenommen waren es sogar zwei. So lief er den Jakobsweg und fuhr mit seinem 50 Jahre alten, 50-PS-Motorrad nach Portugal. „Endlich habe ich das getan, was der kleine Kerl in mir seit Ewigkeiten machen wollte.“ Und schon sind wir wieder beim Thema „Fühlen, Wahrnehmen, Achtsamkeit, seinem inneren Kind Aufmerksamkeit und Liebe zu schenken“.
„Und was nimmst DU mit, aus unserem Gespräch, liebe Martina?
Hat es etwas in Dir bewegt?“, kommen aus heiterem Himmel Rainers Fragen. Darüber werde ich in Ruhe Zuhause nachdenken Herr Kuehn.

Foto oben rechts: Hier entspannt der Künstler und Handwerker nach getaner Arbeit

Text: Martina Jansen
Fotos: Christian Sklenak

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