Zuhause in Dorsten

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Zuhause in Dorsten

Nach dem Kulturschock kam die Freude

Lembeck, Ende 2015: Farzaneh Maleki erreicht nach zweimonatiger Flucht aus Afghanistan mit ihren Eltern sowie den Geschwistern endlich ihre erste längerfristige Bleibe im Lembecker Feuerwehrhaus. „Alles war damals neu für mich“, erzählt mir die junge Frau. „Die Kultur war mir fremd, die Sprache kannten wir nicht und die Buchstaben auch nicht. Wir sind es gewohnt, auf Teppichen auf dem Boden zu sitzen, hier standen nur Tische im Raum, die Teppiche fehlten. Und was für mich absolut befremdlich war: Frauen saßen auf der linken Seite ihrer Autos und fuhren sie selbst.“

Im hervorragenden Deutsch erzählt mir Farzaneh Maleki von ihren Träumen, die sich in ihrer Heimat nie erfüllt hätten. „Ich wollte so gerne zur Schule gehen, lernen, aber das durfte ich nicht. Es war uns unter anderem ebenso verboten wie Auto zu fahren.“

Foto oben rechts: Farzaneh Maleki geht in Dorsten ihren Weg

Nachdem sie ein halbes Jahr lang zurückgezogen mit ihrer Familie in ihrer neuen Wohnung in Lembeck gelebt hatte, ohne Kontakte zu ihren Landsleuten, passte sich Farzaneh ein Herz und ging mit ihrer Betreuerin zum Haarstudio Bohle und hoffte, dass sie dort aushelfen konnte. „Ich habe bereits in Afghanistan in einem Friseursalon gearbeitet, daher dachte ich, ich wüsste, was auf mich zukommt“, lacht sie. Aber weit gefehlt. „Ich bemerkte völlig erstaunt, dass Frauen selbstverständlich auch Männern die Haare schnitten und andersherum genauso. Das ist in meiner Heimat undenkbar.“
Stefan Bohle gab der jungen Migrantin 2016 eine Chance und ließ sie für drei Wochen in den Alltag einer Friseurin hineinschnuppern. „Ich bin immer noch begeistert von Farzanehs Freundlichkeit, ihrer schnellen Auffassungsgabe und dem Blick dafür, was getan werden kann“, betont der Friseurmeister. „Als mich Farzaneh fragte, ob sie hier ihre Ausbildung beginnen könnte, war für mich sofort klar, dass ich alles versuchen würde, sie ihr bei uns zu ermöglichen. Farzaneh nahm ein Jahr lang an einer Einstiegsqualifizierung und betrieblichem Langzeitpraktikum, dem EQJ, teil, in dem sie sich auf ihre Ausbildung vorbereiten konnte. Im Anschluss daran konnte ich ihr 2018 zum Glück einen Ausbildungsvertrag anbieten.“

Foto oben rechts: Mit ihrem Handwerkszeug kann Farzaneh Maleki bestens umgehen

Die 25-jährige Friseurin sieht extreme Unterschiede eines Friseurbesuches in ihrer alten Heimat und in Deutschland: „In Afghanistan sind lange Haare bei Frauen Tradition. Daher lassen sie entweder nur ein wenig die Spitzen schneiden oder möchten Veränderungen, die bemerkt werden, wie Hochsteckfrisuren und Make-up. Hier dagegen wünschen die Frauen es dezenter und natürlicher.“

Nach ihrer mit sehr guten Noten bestandenen Abschlussprüfung wurde sie in ihrem Ausbildungssalon unbefristet übernommen und befindet sich nun mitten in ihrer Meisterausbildung. „Farzaneh ist ein absoluter Glücksgriff für uns und auch ihre Kunden sind begeistert von ihrer Art“, freut sich Stefan Bohle. „Besser kann Integration nicht funktionieren“, fügt er noch zu und erwähnt, dass seine Mitarbeiterin ihr Kopftuch schon nach kurzer Zeit nicht mehr trug. „Ich habe es ihr selbst überlassen, ob sie weiterhin ihre Haare verhüllen möchte, aber so schöne Haare sollte sie eigentlich nicht verstecken.“ Farzaneh lacht und gibt zu, dass sie gewartet hat, bis ihr Chef im Urlaub war, bevor sie sich traute, ihre offenen Haare im Salon zu zeigen. „Nach zwei oder drei Tagen war es für mich normal. Da mein Vater auch nichts dagegen hat, dass wir ohne Kopftuch aus dem Haus gehen, lasse ich es jetzt dabei.“

Foto oben rechts: Die junge Friseurin ist für jeden Spaß zu haben

Zum Schluss unseres Gespräches zieht die Lembecker Friseurin noch ein Fazit über ihre Zeit in Dorsten: „Ich fühle mich sehr wohl hier in diesem tollen Team und auch unsere Kunden sind sehr nett. Ich arbeite gerne im Damen- und auch im Herrensalon und habe mich schnell daran gewöhnt, auch Herren die Haare zu schneiden. Was mir darüber hinaus ganz besonders in Lembeck beziehungsweise in ganz Dorsten gefällt, ist die Tatsache, dass ich hier in der ganzen Zeit niemals Rassismus erlebt habe.“

Text: Martina Jansen
Fotos: Christian Sklenak

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