Stadtteilserie Hervest
von Martina Jansen (Kommentare: 0)
Stadtteilserie Hervest
In der heutigen Ausgabe unserer Stadtteilserie betrachten wir den Stadtteil Hervest. Die Lippe teilt ihn südlich von der Feldmark und der Altstadt. Westlich grenzt Hervest an Holsterhausen, nördlich an Deuten und Wulfen. Östlich liegen unsere Nachbarstädte Haltern am See und Marl. Der Stadtteil besteht aus dem industriell geprägten Hervest, dem bäuerlichen Dorf Hervest und dem bürgerlichen Marienviertel.
Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dem achten Teil unserer Stadtteilserie – Ihr Team der Lokallust Dorsten.
Hervest: vom schwarzen Gold zum kulturellen Erlebnis
Schon von weitem ist es sichtbar: Hervests markantes Wahrzeichen, der Förderturm auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Fürst Leopold. Trafen sich hier früher die Bergleute nach ihrer Arbeit, so treffen sich heute die Dorstener an den Tischen der Fürsten, die mittig zwischen den Restaurants auf dem umgewandelten Gelände aufgestellt sind. Daneben bieten die Lippeauen Naturliebhabern genug Möglichkeiten, die einheimische Fauna zu beobachten. Aber auch Freunde älterer Baukunst werden hier fündig: Der Turm der St.-Paulus-Kirche ist mit mehr als 850 Jahren das älteste Gebäude in Dorsten.
Geschichte
Im Jahre 1188 wird „Hervorst“ mit der Pfarrkirche St. Paulus zum ersten Mal schriftlich erwähnt und gehörte bis ca. 1260 zur Hansegrafschaft Borken. Der Hervester Bruch am Brauckweg (Bruchweg) war Gemeinschaftsgut, später wurden die Ländereien auf die Bauern der Gemarkungen „Orthöve“, „Lune“, „Wenge“ (dem jetzigen Marienviertel) und den Dörflern aufgeteilt. Vor Jahren wurden die Kuhweiden vom Land NRW und dem Bergbau angekauft. Sie erklärten das Feuchtgebiet, das durch Bergsenkungen entstanden ist, zum Naturschutzgebiet.
1843 wurde auf dem ehemaligen Gebiet der Herrlichkeit Lembeck das Amt Lembeck gegründet, zu dem neben Hervest auch die Gemeinden Lembeck und Wulfen gehörten. 1929 wurde das Amt Lembeck mit dem Amt Altschermbeck zum Amt Hervest-Dorsten zusammengelegt. Dorsten trat 1937 diesem Amt bei und der Amtssitz wurde ein Jahr später von Wulfen nach Hervest verlegt. 1943 wurde Hervest in die Stadt Dorsten eingemeindet, bis 1975 die Stadt Dorsten das Amt Hervest-Dorsten übernahm.
Foto oben rechts: Sonnenaufgang überm Zechengelände
Das CreativQuartier
Das alte Zechengelände ist als wirtschaftliches und kulturelles Zentrum im Hervest zum Eye Catcher geworden. Neben kreativen Dorstenern haben sich zahlreiche verschiedene Gastronomiebetriebe angesiedelt. „Die Ruhrstadt-Stiftung als Eigentümer des Geländes legt viel Wert auf Individualität, daher ist das Angebot mit Eis über Cocktails und Tapas hin zu Delikatessen vom Buffet auch breit gefächert“, berichtet Hans Schuster. Der Eventmanager ist seit 13 Jahren mit seiner Firma „Night Affairs & more“ selbstständig, sechs Jahre davon ist er bereits auf dem alten Zechengelände anzutreffen. Gemeinsam mit seiner Verlobten und rechten Hand Julia baute er die Firma auf. In Spitzenzeiten kümmern sich 60 Mitarbeiter um den Aufbau und die Durchführung diverser Veranstaltungen rund ums Gelände sowie in den alten Gebäuden wie der ehemaligen Lohnhalle, der Kaue oder der Galerie der Traumfänger.
„Das Gastro- und Kulturangebot, auch mit dem gegenüberliegenden Soziokulturellen Zentrum ‚Das Leo‘, geht Hand in Hand und erfährt eine hohe Wertschätzung auch aus anderen Stadtteilen oder Städten. Und dieser Wandel wurde ohne Steuergelder vollzogen“, freut sich der Eventmanager, der bedingt durch die Coronaschutzverordnungen in diesem Jahr kaum Veranstaltungen durchführen durfte.
Mit der Gastronomie und den Besuchern kamen auch die Firmen, die sich hier im intakten Umfeld des Förderturmes ansiedelten. Reichlich Parkplätze sind kostenlos vorhanden und auch die Infrastruktur sowie die Anbindung an den ÖPNV stimmen. Durch den Neubau der Fürst-Leopold-Allee und der Kreisverkehre ist das neue Zentrum nun auch für „Marienviertler“ schnell zu erreichen.
„Wir haben noch Pläne für ein weiteres Restaurant, aber da sich der Denkmalschutz im Wandel befindet, stehen wir nun vor besonderen Herausforderungen“, so Hans Schuster, der auch kurz das neue Projekt der Stiftung erwähnt: ein Hotel über der „Factory“ mit 45 Zimmern.
Hans Schuster und sein Team sind für kommenden Veranstaltungen gut gerüstet. Freuen wir uns also darauf, im nächsten Jahr wieder zahlreiche Bekannte auf dem Weihnachtsmarkt, an den Food Trucks, inmitten besonderer Autos oder auf der Revival Party zu treffen.
creativquartier-fuerst-leopold.de
Foto oben rechts: Eventmanager Hans Schuster ist im CreativQuartier ebenfalls für den Brandschutz und die Sicherheit zuständig
Der Heimatverein
„Wir wollen unser Haus mit Leben füllen“, blickt Hans Fromm, Vorsitzender des 1995 gegründeten Heimatvereins, freudig in die Zukunft. „Es soll ein Ort der Begegnung aller Hervester Bürger und Vereine werden, der Mittelpunkt des Dorfes“, wünscht er sich. Momentan wird die alte Backstube Meuser auf der Glück-Auf-Straße mit Landesmitteln zwar noch umgebaut, aber im nächsten Sommer kann hoffentlich die Fertigstellung gefeiert werden.
Foto rechts: Hans Fromm, Vorsitzender des Heimatvereins Hervest
Der Verein hat sich nicht nur den Heimatschutz auf die Fahne geschrieben, die Mitglieder möchten auch insbesondere Kindern die Natur näherbringen. „Wir möchten ihnen zum Beispiel zeigen, wie Brot entsteht, bevor es an der Ladentheke verkauft wird. Dazu dient demnächst der große Saal, der neben Ausstellungen und Vorträgen natürlich auch für Feierlichkeiten genutzt werden kann und auch soll.“
Zum Thema Naturschutz gehört natürlich auch die Zusammenarbeit mit der Biologischen Station in Lembeck, mit der die Vereinsmitglieder drei Nisthilfen für Störche im Naturschutzgebiet „Hervester Bruch“ aufgestellt haben. Dieses Feuchtgebiet im Hervester Nordosten entstand durch Bergsenkungen und bietet Störchen ideale Lebensbedingungen. „Aber ohne die Nisthilfen hätten wir jetzt hier keine Störche“, ist sich Hans Fromm sicher. Auf den Beobachtungsplattformen und Sitzgruppen, die der Verein in Kooperation mit Kreis Recklinghausen aufgestellt hat, lässt sich Adebar optimal beobachten. Aber auch die etwas kleineren Vögel wurden nicht vergessen. Für sie hängten die Mitglieder des zweitgrößten Vereins im Dorf zahlreiche Nistkästen auf.
dorf.hervest.eu
Foto oben rechts: Dem Heimatverein ist es zu verdanken, dass im Bruch Störche brüten
Mr. Trucker Kinderhilfe e. V.
„Ich helfe gerne mit, aber nur, wenn ich keine Funktion habe.“ Diese Aussage Norbert Holz‘ im Jahre 2001 führte 2003 dennoch dazu, dass er den Vorsitz der Mr. Trucker Kinderhilfe bis heute innehat.
Der Verein hat reichlich Sympathiepunkte bei der Dorstener Bevölkerung, wozu jedes Jahr neben den gemütlichen Weihnachtsmärkten auch die große Autoverlosung und der Weihnachtbaumverkauf beitragen. Weihnachtsmarkt, Verlosung und Baumverkauf wurden für dieses Jahr jedoch leider abgesagt. „Die Mr. Trucker Kinderhilfe unterstützt Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten, hilfsbedürftige Familien und Kinder, benachteiligte Kinder oder auch Menschen, die Aufgrund von Unruhen in ihren Heimatländern zur Flucht gezwungen waren und ihr Heil hier bei uns suchen“, ist auf der Webseite des Vereins zu lesen.
Foto oben rechts: Norbert Holz, Vorsitzender der Mr. Trucker Kinderhilfe
Gegründet hat die Mr. Trucker Soforthilfe, wie sie damals noch hieß, der Dorstener Spediteur Hans Delsing im Jahre 1990. 15 Jahre lang unterstützten die Mitglieder zunächst zwei Waisenhäuser in Litauen, stellten dann jedoch die Hilfe für Kinder aus Dorsten und der Umgebung in den Mittelpunkt. Zahlreiche Projekte für und mit Kindern wurden seitdem mit vielen Kooperationspartnern wie den Mobilen Jugendhilfen, Kindergärten, Schulen, Kirchengemeinden und der Hervestkonferenz auf den Weg gebracht. Sei es der Bau der großen Windmühle in der gleichnamigen KiTa, Kinderfeste im Leo oder auch das Aufstellen von Spielparks am Weltkindertag, die Mr. Trucker Kinderhilfe ist stets mit praktischer und finanzieller Förderung zur Stelle. Finanziert werden die Projekte aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und dem Erlös der Weihnachtsmärkte. „Die leuchtenden Augen der begeisterten Kinder, sind unser Lohn“, freut sich der Vorsitzende, dem Ende letzten Jahres zu Recht das Bundesverdienstkreuz für sein jahrzehntelanges soziales Engagement verliehen wurde.
www.mr-trucker-kinderhilfe.de
Foto oben rechts: Die Holzwindmühle ist ein beliebtes Kletterziel
Hervestkonferenz und Initiative Zukunft Marienviertel
„Hier bei uns wohnen zu viele ältere Menschen in zu großen Häusern, auf der anderen Seite suchen viele junge Familien geeigneten Wohnraum“, weiß Johannes Wulf, Bewohner des Marienviertels und Mitglied in der Steuerungsgruppe bei der „Initiative Zukunft Marienviertel“. „Unser Viertel verliert an Attraktivität bei jungen Familien, zumal wir auch keine Grundschule mehr vor Ort haben“, fährt er fort.
Vor fünf Jahren wurde die Initiative mit ihrer Sprecherin Maria Hoffrogge gegründet. Die Gruppe ist auch in der Hervestkonferenz vertreten, setzt sich aber hauptsächlich für die Belange des Marienviertels ein. „Anlass war die Schließung der alten Wichernschule, es folgten Aktionen zur Erhaltung des Freibades, das zu Hervest und nicht wie allgemein angenommen zu Holsterhausen gehört, sowie Programme gegen ein geplantes Windkraftprojekt in der Gälkenheide“, erklärt Johannes Wulf. „Wir waren die erste Bürgerinitiative in Dorsten, die für etwas gegründet wurde und das gemeinsam mit den Verantwortungsträgern umzusetzen plant, und nicht gegen übergestülpte Beschlüsse agieren muss, weil sie sich zu spät eingemischt hat“, fährt er fort. „Wir haben den Mut, Ideen zu äußern und Entscheidungen für die Zukunft anzumahnen.“
Auch wenn die „Initiative Zukunft Marienviertel“ sich verstärkt um die Aufwertung des Marienviertels einsetzt, so ist die Zusammenarbeit mit der Hervestkonferenz dennoch bestens. Gemeinsam setzen sie sich unter anderem dafür ein, dass die einzelnen Stadtteile vom Autoverkehr entlastet und Fahrradstraßen gebaut und genutzt werden. „Wir haben in Hervest interessante Wirtschaftswege, über die man schnell mit dem Rad überall hingelangt“, erwähnt Norbert Holz, Sprecher der Hervestkonferenz. „Aber die Qualität dieser Wege ist sehr schlecht, der Autoverkehr besitzt immer noch eine zu hohe Priorität“, bedauert er.
hervestkonferenz.de
marienviertel.de/zukunft
Foto oben rechts: Johannes Wulf setzt sich für das Marienviertel ein
Der Bergbau
Der industrielle Teil Hervests wurde stark geprägt durch die Zeche Fürst Leopold, auf der bis 2001 Kohle gefördertwurde. Das ursprüngliche Zechengelände wandelte sich, aber noch immer erinnern in der Hervester Kolonie Straßen und Gebäude an die Vergangenheit des Bergbaus. So wurde aus dem Weg der ehemaligen Zechenbahn, die hinter den Gärten der umliegenden Häuser vorbeiführte, nun ein breiter Geh- und Radweg hin zur Lippe. Bunt bemalte Trafohäuschen bilden dabei immer wieder einen Blickfang.
Die Zechensiedlung, die mittlerweile unter Denkmalschutz steht, entstand, als zahlreiche Bergarbeiter sich hier ansiedelten. Rund um den Brunnenplatz entstand dafürein kleines Nahversorgungszentrum, nun finden hier interkulturelle Veranstaltungen statt. Am Brunnenplatz ist auch der 2003 gegründete „Verein für Industrie-, Bergbau- und Sozialgeschichte Dorsten e.V.” mit original nachgebauter Bergmannsküche zu Hause. Regelmäßig lädt er zu interessanten Führungen durch die Kolonie ein. Hierbei erfährt der interessierte Zuhörer auch, warum Hervest in Hervest und Dorf-Hervest unterteilt ist.
Foto oben rechts: Auf dem Brunnenplatz in Hervest finden regelmäßig Veranstaltungen statt
Aber nicht nur hier hält der Bergbauverein die Erinnerung an die Zechenzeiten aufrecht. Im ehemaligen Maschinenhaus auf dem Zechengelände finden neben Ausstellungen und Vorführungen auch außergewöhnliche Trauungen direkt neben der alten Dampfmaschine statt.
bergbau-dorsten.de
Foto oben rechts: Die alte Maschinenhalle Fürst Leopold
Infrastruktur
Südlich und westlich der ehemaligen Zeche liegt Hervest-Dorsten, östlich davon befindet sich der alte Dorfkern, nordwestlich das Marienviertel. Gesamt betrachtet liegt der Stadtteil eingebettet in einige Stadtteile Dorstens, aber die Hervester zieht es nicht unbedingt nach außerhalb. Sie besitzen eine gut funktionierende Infrastruktur mit Vereinen, Schulen, Kitas, Kirchen, Einkaufsmöglichkeiten und kulturellen sowie gastronomischen Angeboten. Für die Bewohner des Marienviertels gibt es mittlerweile eine gute Anbindung ans alte Zechengelände. Der Bahnhof bietet eine aktuelle Möglichkeit des Verreisens, die frühere Fährstelle über die Lippe nach Marl hat dagegen in der heutigen Zeit natürlich an Bedeutung verloren.
Das Wappen
Auf blauem Hintergrund blicken drei senkrechte goldene Fische nach oben. Als Grundlage des Hervester Wappens dient seit 1935 das Wappen der bereits um 1400 ausgestorbenen Familie „von Hervorst“.
Vier Jahre später entstand das Wappen des Amtes Hervest-Dorsten, das bis zur Kommunalreform 1975 verwendet wurde.
Eckpunkte der Geschichte
12. Jahrhundert: Bau der ersten Pauluskirche
1846: Inbetriebnahme der Kattunfabrik
1873: Gründung der Dorstener Eisengießerei
1874: Anschluss an die Bahnlinie Hamburg - Amsterdam
1887: Gründung der Teppichfabrik Stevens & Schürholz
1908: Verlegung der Eisengießerei ins Marienviertel
1910: Einweihung der Marienkirche
1912: Förderung der ersten Kohle in Hervest
1920: Bau der Mariengrundschule
1943: Eingemeindung in die Stadt Dorsten
1962: Eröffnung des Freibades
1964: Unterrichtsbeginn in der Gerhart-Hauptmann-Realschule
1967: Unterrichtsbeginn in der v.- Ketteler- und Wichernschule
1988: Errichtung der Moschee am Holzplatz
1999: Schließung des Freibades
2016: Eröffnung des Kulturzentrums „Das LEO“
Quelle: Stadt Dorsten, wikipedia
GPS Koordinaten: 51° 40' 11.438" N 6° 59' 22.801" E
Fläche gesamt 1709,59 ha, Wohnfläche 156,31 ha, Industrie- und Gewerbefläche 212,79 ha
Schulen: Albert-Schweitzer Grundschule, Grundschule Augusta, Haldenwang Förderschule, Von-Ketteler-Förderschule
Kindergärten: Familienzentrum „Regenbogen“, Familienzentrum Joachimstraße, Familienzentrum St. Josef, evangelische KiTa „An der Windmühle“, Kindergarten St. Marien, Kindergarten St. Paulus, Kindergarten Vennstraße, evangelischer Kindergarten Glück-Auf-Straße, KiTa „Kuckucksnest e.V.“, KiTa Glück-Auf-Straße
Kirchen: St. Paulus, St. Josef, St. Marien, evangelische Kreuzkirche (Ev. Kirchengemeinde Hervest-Wulfen), Freie Christengemeinde Dorsten e.V, Königsreichsaal Zeugen Jehovas, Fatih-Camii-Moschee
Einwohner: 13724
Quelle: Stadt Dorsten, www.laengengrad-breitengrad.de
Foto oben rechts: Das Hervester Wappen
Text: Martina Jansen
Fotos: Christian Sklenak, Guido Bludau und Martina Jansen