Holsterhausen: Kirche, Kohle, Karneval

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Holsterhausen: Kirche, Kohle, Karneval

In der dritten Ausgabe unserer Stadtteilserie steht Holsterhausen, einer der ältesten Dorstener Stadtteile, im Mittelpunkt des Geschehens. Nördlich abgegrenzt von der Innenstadt durch Lippe und Kanal, liegt der zweitgrößte Stadtteil Dorstens westlich von Hervest, südlich von Deuten und grenzt ans benachbarte Schermbeck. Der blaue See, das Kanalufer und die Deiche der Lippe sind beliebte Naherholungsziele vieler Dorstener Bürgerinnen und Bürger.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dem dritten Teil unserer Stadtteilserie – Ihr Team der Lokallust Dorsten.

„Wir wollen hier nicht mehr weg“, sind sich viele Holsterhausener einig und nennen als Gründe dafür das Paradies an der Antoniuskirche, den Kinderkarnevalsumzug, die Lippefähre „Baldur“ oder den Blauen See. Ältere Holsterhausener kennen ihn noch als Badeanstalt, mittlerweile ist dort das Baden jedoch verboten. Aber der idyllische Rundweg um den See wird noch gerne von Spaziergängern, Radfahrern oder Joggern sowie Hundebesitzern genutzt.

Foto oben rechts: Drohnenaufnahme von Holsterhausen
Foto: Jan Marc Heppner

Geschichte
Bereits seit der Steinzeit gibt es hier menschliche Spuren, wie zahlreiche Funde wie Pfeilspitzen oder Äxte im Waldstück in der Nähe Freudenbergs beweisen. „Später, in der Zeit von 11 bis 7 vor Chr., siedelten hier Römer. Bei verschiedenen Ausgrabungen wurden insgesamt zehn Marschlager entdeckt. Sie beherbergten bis zu 12.000 römische Soldaten auf ihrem Weg ins Lager in Haltern“, berichtet Hans-Jochen Schräjahr. Er kennt sich aus mit der Dorstener Geschichte. Der ehemalige Englisch- und Geschichtslehrer am Petrinum hält die Geschichte Dorstens zusammen mit Dr. Josef Ulfkotte in den Veröffentlichungen des Vereins für Orts- und Heimatkunde fest.
„Die Keimzelle Holsterhausens ist das Rittergut Hagenbeck, das um 1150 zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurde und mit den Bauernschaften damals zur Herrlichkeit Lembeck gehörte“, blickt der Heimatkundler auf die Anfänge des Ortsteils zurück. 1350 siedelten sich die ersten Holzarbeiter an, die entgegen der üblichen Bezeichnung „Holzhausen“, den Namen „Holsterhausen“ für ihre Siedlung wählten.

Im Jahre 1803 fiel die Herrlichkeit an das Fürstentum Salm-Salm, sieben Jahre später ans französische Kaiserreich und somit an die Mairie Altschermbeck und wurde schließlich unter den Preußen im August 1816 ins Vest Recklinghausen eingegliedert.
1906 kam mit der Eröffnung der Zeche Baldur der Wohlstand nach Holsterhausen. Die ersten Häuser für die zahlreichen Bergarbeiter wurden bewusst weit weg vom Ortskern gebaut, die Kolonie entstand.
Nachdem das neu gebaute Keramitwerk 1914 seine Tore wieder schloss und auch das daraufhin eröffnete Stahlwerk 1927 stillgelegt wurde, endete auch 1930 auf Baldur die Kohleförderung. Holsterhausen wurde zur ärmsten Gemeinde in der Provinz Westfalen. „Opa Görg war auf Baldur, bis der Pütt schloss und erzählte uns vom Hungerprotestmarsch zu Weihnachten 1932“, erinnert sich Lambert Lütkenhorst und Hans-Jochen Schräjahr ergänzt: „2500 Kumpel marschierten damals nach Dorsten, um auf ihre Not aufmerksam zu machen.“
Als 1925 der Flugverkehr im von Franzosen und Belgiern besetzten Ruhrgebiet verboten wurde, baute die Luftverkehrsgesellschaft LURAG einen neuen Flugplatz an der Borkener Straße, Kreuzung Freudenberg. Drei Monate später wählte die LURAG jedoch einen günstiger gelegenen Flugplatz für den weiteren Betrieb aus. Der Besitzer des Geländes, Graf von Merveldt, ließ das Gelände daraufhin wieder aufforsten. Heute trotzen nur noch ein paar große Fundamente der Natur.
1929 wurde Holsterhausen ins Amt Hervest-Dorsten eingegliedert und verlor seine Selbstständigkeit als Gemeinde endgültig 1943 mit der Zuordnung zur Stadt Dorsten.

Foto oben rechts: Im Waldstück Nähe Borkener Straße sind noch die Fundamente des Flughafens zu sehen

Zwei Stadtteile wachsen zusammen
„Dorf gegen Kolonie, alteingesessene Poahlbürger gegen zugezogene Püttrologen, Katholiken gegen Protestanten, bürgerlich gegen uns – aber wenn es darauf ankam, dann hieß es: „Holsterhausen gegen Hervest“, erinnert sich unser Altbürgermeister an seine Jugend in der Kolonie, in der die Post abging. „Nur gemeinsam konnten wir verhindern, dass wir beim Übertreten der Grenze an der Idastraße verhauen wurden. Holsterhausen hatte in meiner Jugend keinen guten Ruf“, erwähnt Lambert Lütkenhorst. „Die Dorstener nannten den Stadtteil „Holsterdeibel“ und wenn die Zigeuner vom Freudenberg kamen, dann hieß es für sie ab der Kneipe von Williken Schmitz immer ‚Gas geben‘, damit sie bei uns nicht beklaut werden.“
Zum Einkaufen nach Dorsten fuhr die „Kolonie“ über den Jordan, wie die Lippe genannt wurde, selbst dann noch, als an der Freiheitsstraße immer mehr Geschäfte entstanden. „Dort einzukaufen war absolut verpönt, obwohl wir schon etwas neidisch auf das Dorf waren“, gibt er zu. „Mittlerweile sind Dorf und Kolonie schon lange nicht nur räumlich zusammengewachsen, gefrotzelt wird jetzt nur noch im Scherz. Wichtig ist die Vernetzung und Zusammenarbeit im Ort, wie z.B. jetzt auch durch die HolsterhauenKonferenz (#HoKo)“, erwähnt Jutta Feller, die durch ihre vier Kinder sowie durch ihre zahlreichen Ehrenämter stets gut darüber informiert ist, was im Ort vor sich geht. Sie wohnt im Bereich des „Dorfes“, fühlt sich aber sehr wohl im gesamten Stadtteil.

Foto oben rechts: Eine Fotomontage ermöglicht auch in Coronazeiten etwas Nähe: (v. l. ) Hans-Jochen Schräjahr, Jutta Feller und Lambert Lütkenhorst

Die Kirchen
„Von der Ewigkeit ins Paradies ist es für uns nur ein kurzer Weg“, schmunzelt Lambert Lütkenhorst und Jutta Feller sowie Jochen Schräjahr stimmen ihm lächelnd zu. Gemeint sind damit ein Abzweig der Borkener Straße und der Innenhof der Antoniuskirche. Die Kirche wurde im Jahre 1913 aus Spendengeldern erbaut, die alte Pfarrkirche wurde zum Pfarrheim umgebaut. „Die Pfarrgemeinde St. Antonius wurde 1443 gegründet, bis dahin gehörten die Holsterhausener zur Mutterkirche St. Paulus in Hervest“, erzählt Jutta Feller, Mitglied des Pfarreirates „Da aber bei Überschwemmung der Lippe, wegen Kriegswirren und wegen des weiten Weges die Katholiken den Gottesdienst oft nicht besuchen konnten, wurde die kleine Antoniuskirche erbaut.“
Schnell zeigten sich Baumängel an der neuen Antoniuskirche, sodass sie nach weiteren Sturmschäden renoviert werden musste. Durch den Einzug einer neuen Mauer im Innenbereich in den 50er Jahren wurde die Kirche verkleinert und es entstand ein Innenhof: das Paradies. Bald stellte sich jedoch heraus, dass sie für die wachsende Gemeinde aufgrund der steigenden Einwohnerzahl in der Kolonie zu klein war. Im Jahre 1922 wurde daher ein neues Pfarr-Rektorat gegründet, es gab zunächst eine Notkirche, 1952 wurde die Bonifatiusgemeinde selbstständig und die St. Bonifatiuskirche wurde gebaut. Inzwischen sind die katholischen Gemeinden wieder zu St. Antonius und Bonifatius fusioniert.
1923 wurde die evangelische Martin-Luther-Kirche gebaut und eingeweiht. „Zwischen den verschiedenen Gemeinden gibt es einen guten Austausch, nicht nur bei gemeinsamen Andachten oder den jährlichen ökumenischen Gemeindefesten“, freut sich Jutta Feller.

Die Schulen
Bereits im Jahre 1735 sorgte der Lembecker Schlossherr Graf August Ferdinand von Merveldt für die Bildung der Kinder und ließ eine Schule bauen. Die Klassenräume blieben jedoch zum größten Teil leer, da die Kinder ihren Eltern auf Hof und Feld helfen mussten. 1814 wurde ein neues Schulgebäude errichtet und der Unterricht damit aus Küster Quicksterdts Küche in ein öffentliches Gebäude verlagert.
Durch den Bevölkerungsanstieg durch Bergbauarbeiter wurde 1907 die katholische Antoniusgrundschule an der Heroldstraße eingeweiht, die zahlreichen evangelischen zugezogenen Kinder gingen in die 1912 eröffnete evangelische Wilhelmschule. Mit der Baldurschule wurde schließlich ein paar Jahre später eine konfessionslose Schule geschaffen.
Aufgrund der wachsenden Bevölkerungszahl wurde 1930 die Bonifatiusschule am Berliner Platz eröffnet. Sie wurde zur modernsten Schule Dorstens mit Druckspülern in den Toiletten und einer revolutionären Heißluftheizung. Opa und Oma Görg, die Großeltern Lambert Lütkenhorsts, waren dort Hausmeister. „Ich weiß noch, wie wir Blagen samstags immer die Flure schrubben und die Wannen säubern mussten“, verrät er uns. Die Schule war neben der Säuglingsberatungsstelle auch noch eine öffentliche Volksbadestelle und zog Jahre später in die Räume der ehemaligen Wilhelmschule an der Pliesterbecker Straße.

Foto oben rechts: Die Antoniuskirche

Die Bontons
Aktive Jugendarbeitet wird in Holsterhausen großschrieben. Die Kirche als Plattform für Jugendarbeit, darauf bauen Nadja Plänker (16), Moritz Fellner (22) und der 18-jährige Jan Heppner. Die drei stehen stellvertretend für die mehr als 40 Mitglieder der Leitergruppen der Bontons. Sie sind christliche Jugendliche, die sich ehrenamtlich um ihre Mitmenschen kümmern. So dient der Erlös des jährlichen Weihnachtsbaumverkaufes nicht nur der eigenen Ferienfreizeit, sondern kommt auch Menschen in Not in Brasilien zugute. Der Name setzt sich zusammen aus BONifatius und AnTONius, den beiden katholischen Gemeinden. Die drei ehemaligen Messdiener sind alle in Holsterhausen geboren und fühlen sich auch dort wohl. „Wir wissen, dass die Kirche bei vielen Jugendlichen erst nach dem Sport, der Schule und anderen Aktivitäten kommt, umso mehr gefällt uns natürlich, dass bei der letzten Ferienfreizeit 42 Mädchen und Jungen teilgenommen haben“, freut sich Moritz.
Ferienfreizeiten, auch das ist Kirche. „Wir holen damit die Jugendlichen, unabhängig ihres Glaubens dort ab, wo sie stehen“, so Jan. „Durch die Fusion der beiden Gemeinden können wir nun allen Kindern ein vielfältigeres Angebot bieten.“ Und Nadja ergänzt: „Wir haben viel Arbeit, viele Herausforderungen, viele Schulungen und vor allem jede Menge Spaß.“

Foto oben rechts: (v. l.) Drei engagierte Bontons: Jan Marc Heppner, Nadjy Plänker und Moritz Fellner

Kinderkarneval
Seit über 40 Jahren eine feste Institution in Holsterhausen ist der Kinderkarnevalszug. Es ist ein Fest, bei dem, immer am Sonntag vor Rosenmontag, die Kinder im Vordergrund stehen. Hier sind die Besucher, die längst der Dorfstraße stehen, auf Augenhöhe mit den vorbeilaufenden Kindern aus den Kitas und der Grundschule, mit Vereinsmitgliedern oder Nachbarschaften, unterstützt durch den Spielmannszug Holsterhausen-Dorf, das Blasorchester St. Antonius und den Fanfarenzug Holsterhausen ‘53 e. V. Für die Sicherheit sorgen jedes Jahr die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Holsterhausen, die auch bei anderen Festen parat stehen. „Wir sperren auch den Schützenplatz ab und bringen uns mit unserem Know-how bei den Pfarrfesten ein. Im Gegenzug dazu helfen wir Bontons bei den Schützen- oder Feuerwehrfestes an den Theken aus“, so „Heppi“, der neben seinem kirchlichen Ehrenamt auch noch bei der Freiwilligen Feuerwehr anzutreffen ist. „Der Brandschutz in Dorsten wäre ohne die Freiwilligen Feuerwehren nicht finanzierbar“, weist Altbürgermeister Lambert Lütkenhorst noch auf die ehrenamtlichen Dienste der 400 Freiwilligen in Dorsten hin.

Foto oben rechts: Der Kinderkarneval hat in Dorsten-Holsterhausen Tradition

Entwicklung und Infrastruktur
Holsterhausen ist verkehrstechnisch gut vernetzt. Sowohl die Bundesstraße B58 als auch die B24, die Borkener Straße, führen schnell in die benachbarten Ortsteile und auch der sogenannte Ostfriesenspieß, die A31, ist schnell erreichbar. Auch wenn nicht wirklich geklärt ist, ob die Abfahrt über den Parkplatz Holsterhausen aufgrund des Wohnortes der Bundestagsabgeordneten Agnes Hürland-Büning gebaut wurde, heißt sie weiterhin im Volksmund „Agnes- Hürland-Gedächtnis-Abfahrt“.
Auch zu Fuß oder per pedes sind Geschäfte außerhalb sehr gut erreichbar, aber dorthin muss der Holsterhausener nicht unbedingt. „Hier bekommt man doch alles, was man in einer Großstadt auch bekommt“, sind sich Jutta Feller und Lambert Lütkenhorst einig.
Die kleine Stadt in der Stadt und verfügt mit der Freiheitsstraße und der Borkener Straße über zwei sehr gut funktionierende Einkaufsstraßen mit Handel, Dienstleistungen und Restaurants. Viele der Geschäfte sind noch inhabergeführt, was einen besonderen Reiz ausmacht. Man kennt sich halt. Aber wo Licht ist, da ist aber auch Schatten, denn der starke Verkehr auf den bel(i)ebten Einkaufsstraßen ist ein Problem. Dennoch bleibt für Lambert Lütkenhorst sein Geburtsort Holsterhausen der schönste Stadtteil Dorstens.

Das Wappen
Drei goldene Ringe zieren das rote Schild des Holsterhausener Wappens. Das ursprüngliche Familienwappen derer von Hagenbeck wurde von der Gemeinde 1935 um zwei goldene Wellenlinien ergänzt. Es wird vermutet, dass diese Linien die Lippe sowie den Lippe-Seitenkanal, früher Wesel-Dattel-Kanal genannt, darstellen.

Eckpunkte in der Geschichte
11 - 7 v. Chr. : Erstes Marschlager der Römer in Holsterhausen
1150: Erste urkundliche Erwähnung
1587: Niederbrennen des Dorfes durch die Spanier
1350: Holzfäller siedelten sich an
1735: Bau der ersten Schule
1803: Zugehörigkeit zum Fürstentum Salm-Salm
1810: Zugehörigkeit zum Kaiserreich Napoleons
1816: Eingliederung ins Vest Recklinghausen
1874: Inbetriebnahme der Bahnlinie Haltern - Venlo
1906: Eröffnung der Zeche Baldur
1907: Einweihung der Antoniusschule
1912: Eröffnung der Wilhelmschule
1913: Bau der Antoniuskirche
1914: Schließung des Keramitwerkes
1922: Bau der Bonifatiuskirche
1923: Bau der Martin-Luther-Kirche
1927: Stilllegung des Stahlwerkes
1930: letzte Kohleförderung auf Zeche Baldur
1930: Eröffnung der Bonifatiusschule
1932: Protesthungermarsch der Bergarbeiter
1925: Eröffnung und Schließung des Flughafens
1929: Eingliederung ins Amt Hervest-Dorsten
seit 1943: Zugehörigkeit zur Stadt Dorsten
1975: Eingliederung der Emmelkamp

GPS-Koordinaten: 51° 40' 51.848" N     6° 57' 10.357" E
Fläche gesamt 1426,84 ha, Wohnfläche 170,16 ha, Industrie- und Gewerbefläche 169,13 ha
Schulen: Antonius Grundschule, Bonifatius Grundschule, Neue Schule Dorsten, Erich-Klausener-Realschule
Kindergärten: St. Bonifatius, St. Ida, St. Antonius, Ahornkindergarten, KiTa Abenteuerland, FZ Hand in Hand, Am Kreskenhof
Kirchen: St. Antonius, St. Bonifatius, Martin-Luther
Einwohner: 14.455

Text: Martina Jansen
Fotos: Christian Sklenak, Jutta Fellner, Jan Marc Heppner, Lambert Lütkenhorst und privat
Quellen: Quelle: Stadt Dorsten, wikipedia, www.laengengrad-breitengrad.de

 

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