Goodbye Deutschland – Hallo Japan

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Die Wulfenerin Justine Hagita kehrte Deutschland den Rücken

Samstag, 8 Uhr morgens. Mein frisch aufgegossener Tee zieht in meiner Lieblingstasse. Auf meinem Handydisplay ist per Video-Anruf meine langjährige und beste Freundin aus Kindheitstagen, Justine Hagita zugeschaltet. Während ich noch relativ verschlafen in die Handykamera schaue, ist sie schon hellwach. Sie zeigt mir ihre neue Heimat. Justine ist vor zwei Monaten ausgewandert. Nicht nach Amerika, nicht nach Neuseeland, nein: Sie ist nach Japan gezogen.
Gemeinsam mit ihrem Ehemann Satoshi Hagita lebt die 25-Jährige in einem kleinen Haus in Kawasaki, einer Stadt bei Tokio mit ungefähr 1,6 Millionen Einwohnern.
Die Wulfenerin ist im Oktober 2018 für ihr Japanologie Studium nach Japan gezogen. Justine und Satoshi, seit einem Jahr verheiratet, haben sich in der Rheinmetropole Frankfurt über eine Sprach-Lern-App kennengelernt
Bei den beiden hat es sofort gefunkt und schon nach einigen Monaten zogen sie zusammen. „In Frankfurt sind die Mieten wahnsinnig hoch“, schildert Justine. „Wir haben daher recht schnell beschlossen, zusammen zu ziehen, da Satoshi in einer WG gelebt hat und es langfristig für uns beide kostengünstiger war.“

Foto oben rechts: Justine und Satoshi Hagita freuen sich auf eine gemeinsame Zukun in Japan

Hochzeit in der Corona-Pandemie
Die Hochzeit der beiden folgte im März 2021. Aufgrund der Corona-Pandemie fand die Feier im engsten Familien- und Freundeskreis in Frankfurt statt. Bei bestem Wetter gaben sich die beiden direkt am Main das Ja-Wort. Freudestrahlend wurde das frisch vermählte Ehepaar von der Familie und Freunden empfangen. „Mit Vorurteilen zu unserer Ehe haben wir bis dato noch nie zu kämpfen gehabt. Ich glaube, es gibt durchaus andere interkulturelle Beziehungen, die mit mehr Problemen zu kämpfen haben. Satoshi wurde in meinem Familien- und Freundeskreis herzlich empfangen und andersrum wurde ich genauso herzlich aufgenommen“, erinnert sich die Studentin.
Auf meinem Handybildschirm sehe ich die Skyline Tokios. Wahnsinnig beeindruckend. Auf meinem Smartphone erkenne ich, wie sich auf einer Straße eine riesige Menschentraube über die Kreuzung bewegt. Justine erklärt mir: „Das hier ist die Shibuya Kreuzung in Tokio.“ Die Shibuya-Kreuzung ist wahrscheinlich die berühmteste Kreuzung der Welt. Tausende Menschen strömen bei einer Grün-Phase kreuz und quer über die Straße. Die Wulfenerin kann es selbst kaum glauben, endlich angekommen zu sein: „Es war schon immer mein Kindheitstraum, hier zu sein. Aber nicht nur als Tourist. Ich möchte hier leben und alt werden.“ Tatsächlich kann ich mich noch ausgesprochen gut an unsere Jugendzeit erinnern. Schon in der 6. Klasse fing Justine mit dem Lesen von Mangas, den japanischen Comics, an. Sie redete permanent davon, dass sie eines Tages in Japan leben würde. Wer damals dachte, dass es sich hierbei nur um eine „Phase“ handelt, der wird nun eines Besseren belehrt.

Foto oben rechts: Der Wulfener Markt wurde gegen die Skyline Tokios eingetauscht

Selbstfindungsprozess
Im Sommer 2014 und 2015 flog Justine mit Freunden nach Korea. „Zu jener Zeit fand ich koreanische Popmusik sehr ansprechend und es war für mich und meine Freunde ein tolles Abenteuer.“
Im September 2017 reiste die damals 21-Jährige das erste Mal nach Japan. „Ich war sofort in die Kultur und in das Land verliebt. Außerdem haben mich die japanischen Traditionen eher angesprochen, als die in Korea. Japan fand ich im Gesamtbild ästhetischer“, schmunzelt sie. Ein halbes Jahr arbeitete und lebte die Wulfenerin damals in Tokio. „Ich habe mich selbst in Japan gefunden und konnte mich so komplett auf mich und meine Wünsche fokussieren. Es war ein sehr wichtiger Prozess in meinem Leben.“ Für Justine stand fest: Sie wird in das Land zurückkehren.


Einreisestopp für Ausländer
Fast 15 Jahre später hat sich Justines Kindheitstraum verwirklicht. „Leicht war der Weg nicht“, erklärt Justine und schwenkt die Handykamera auf ihr Gesicht. „Vor allem in der Hochphase der Corona-Zeit war es kräftezehrend, endlich die Genehmigung für mein Ehe-Visum zu erhalten.“
Seit Beginn der Pandemie war es für Ausländer nicht möglich, nach Japan einzureisen. Letztes Jahr war es lediglich Ehepartnern erlaubt, in das Land einzureisen, sofern das Ehe-Visum genehmigt wird. Außerdem durften Angehörige mit einem Kurzzeit-Visum einreisen. Diese wurden allerdings nur in Sonderfällen, wie bei Todesfällen in der Familie, genehmigt.
Für die Antragsstellung war es auch notwendig, dass die Studentin ihre Gründe vorlegen sollte, wieso sie nach Japan einreisen möchte. Unter anderem musste Justine offenlegen, wie sie ihren Ehemann kennengelernt hat. „Wir wurden aufgefordert, Fotos beizulegen, um die Glaubwürdigkeit unserer Ehe zu beweisen. Die Ausländerbehörde dürfte nun ein ganzes Foto-Album mit ungefähr 100 Bildern von uns haben“, erzählt die junge Auswanderin.
Dann folgte der Schock: „Mein Ehe-Visum wurde bei der ersten Antragsstellung abgelehnt. Es war ziemlich deprimierend. Mein Mann und ich hatten bereits unsere Wohnung in Frankfurt aufgelöst, unsere Flüge waren gebucht und der Tag der Abreise stand fest. Einen Monat vor dem geplanten Abflug kam der Ablehnungsbescheid.“ Dem jungen Ehepaar blieb nur eines übrig: Satoshi musste allein fliegen. Justine würde ihm folgen, sobald das Ehe-Visum bestätigt ist. Für diese Zeit zog die Studentin zurück zu ihrer Mutter nach Wulfen.

Foto oben rechts: Der Sensoji-Schrein in Asakusa. Durch solche Anblicke realisiert die Studentin, dass sie endlich in Japan angekommen ist

Trennung auf unbestimmte Zeit
„Ich verstehe nicht, wieso man es Paaren so unglaublich schwer machen muss.“ Das Gesicht der Wulfenerin wird zunehmend ernster: „Satoshi und ich waren drei Monate getrennt. Es war nicht klar, wann ich endlich nachreisen konnte. Ich dachte, unsere ganze Planung war umsonst.“  Für den zweiten Antrag nahm sich das Ehepaar einen Anwalt in Japan, was den Prozess rund um die Antragsstellung vereinfachte.
Schließlich wurde das Visum genehmigt und Justine konnte ihre Auswanderungspläne fortsetzen. Am 29. Dezember 2021 war es dann endlich so weit. Die Wulfenerin würde in ihre neue Wahlheimat Japan fliegen. Per Direktflug ab Frankfurt ging es für die 25-Jährige nach Tokio. Nach der Ankunft in der Millionenmetropole verbrachte sie zunächst sechs Tage in einem Quarantänehotel. Anschließend folgten noch acht Tage in häuslicher Isolation.

Schönheit, Aufbruch
und Vergänglichkeit
„Ich wurde täglich per Video-Anruf kontrolliert, ob ich mich auch weiterhin in Quarantäne befinde.“ Nun ist Justine erleichtert, dass sie sich endlich frei bewegen kann. Ihre Familie in Deutschland vermisst die 25-Jährige noch nicht: „Ich bin erst wenige Monate von meiner Familie getrennt, daher ist es aktuell noch auszuhalten. Es freut mich natürlich, wenn sie mich in Zukunft besuchen kommt.“
Die Handykamera schwenkt auf einen Kirschbaum, der seine ersten Knospen trägt. Die Auswanderin freut sich sichtlich auf die diesjährige Kirschblüten-Saison, die man auf japanisch „Sakura“ nennt. Die Kirschblüte steht für einige der wichtigsten Symbole der japanischen Kultur: Schönheit, Aufbruch und Vergänglichkeit. Durch den Handybildschirm erkenne ich, wie glücklich Justine aussieht. Auf meine Frage, was sie anderen Menschen mit auf den Weg geben möchte, die von einer Auswanderung träumen, antwortet sie prompt: „Ich bin einfach glücklich darüber, dass sich meine Träume erfüllt haben und ich nun hier in Japan stehe. Ich kann nur jedem raten: Sei mutig, verfolge deine Träume und bleib' dran.“

Text: Sonja Gretkowski
Fotos: privat

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