Ein Feind muss nicht sein

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Ein Feind muss nicht sein

Mit 97 Jahren ist Klaus Moyseschewitz wahrscheinlich Dorstens ältester Autor

Nein, es ist kein Zahlendreher, liebe Leserinnen und liebe Leser. Klaus Moyseschewitz hält tatsächlich im gesegneten Alter von 97 Jahren sein kürzlich gedrucktes Buch in den Händen.

Vor mir sitzt ein äußerst angenehmer alter Mann, der aus seinem Leben erzählt. Und zwar mit einer so interessanten Gestik und Mimik, dass mir nicht langweilig wird, ihm zuzuhören.
1924: Der Erste Weltkrieg war erst sechs Jahre vorbei und die Reichsmark löste in jenem Jahr die Rentenmark bis 1948 als gesetzliches Zahlungsmittel im Deutschen Reich ab. In jenem Jahr wurde Klaus Moyseschewitz in Königsberg in Ostpreußen als zweiter Sohn seiner Eltern geboren. Sowohl für seinen Vater als auch für seine Mutter stand vorher sicher fest, dass der zweite Nachwuchs ein Mädchen sein würde. „Aber dann entdeckte die Hebamme bei mir ein winziges Etwas, das ein Mädchen nun mal nicht hat“, erinnert sich der Altendorf-Ulfkotter schmunzelnd daran, was ihm seine Mutter damals erzählte. Nach dem Ausspruch der Hebamme „Da ist ja unser Klaus“, kam der kleine Junge so kurzerhand zu seinem Vornamen.

Foto oben rechts: Klaus Moyseschewitz, ein sehr angenehmer 97-jähriger Dorstener

Er wuchs zunächst in „gutem Hause“ in Rastenburg auf, bis sich seine Mutter scheiden ließ. Ein für damalige Verhältnisse absolutes Novum. Sie zog mit ihren beiden Söhnen innerhalb der Stadt um. Hier ging der junge Klaus zur Schule und half bei der Kartoffelernte, um sich etwas Taschengeld zu verdienen, aber auch, um seiner Mutter etwas Geld geben zu können. „Aber es reichte dennoch vorne und hinten nicht, und da ich damals Hunger hatte, stahl ich sogar einen Apfel“, gibt Herr Klaus, wie ich ihn nennen darf, offen zu. „Wir zogen zurück nach Königsberg und ich besuchte dort die Handelsschule. Auf dem Schulhof hörte ich von einem anderen Schüler zum ersten Mal andeutungsweise etwas über ‚schlimme Dinge und KZ‘, aber ich hatte nicht die geringste Ahnung, was damit gemeint war“, fährt er fort. Als er gerade nachfragen wollte, was das bedeuten würde, war die Pause schon zu Ende und Klaus Moyseschewitz sah den Jungen nicht wieder.

„Der Abschluss des Handels-Diplomkaufmanns war mein Bestreben, daher arbeitete ich in einem Antiquariat, um die 9 Mark Schulgeld zu verdienen. Leider wurde ich krank, konnte nicht mehr arbeiten und daher auch das Schulgeld nicht mehr zahlen. Ich verließ die Schule, da mir dieser Umstand sehr peinlich war.“

Doch der junge Mann ließ sich nicht unterkriegen, er wurde im Herbst 1939 Bürobote in einem großen Elektrizitätswerk. Im Juli 1940 holte ihn sein Vater zurück nach Rastenburg und dort konnte er endlich seine angestrebte kaufmännische Lehre beginnen. Knapp zwei Jahre später musste er sie jedoch unterbrechen, der 17-Jährige wurde zum Arbeitsdienst nach Estland geschickt.

Foto oben rechts: Klaus Moyseschewitz konzentriert sich beim Erzählen, damit alle Jahreszahlen auch stimmen

Klaus Moyseschewitz fährt fort: „Mit 18 Jahren wurde ich als Soldat eingezogen. In Leningrad bekam ich jedoch Sumpffieber und wurde nach einer langen Lazarettzeit nach Hause in den Heimatdienst geschickt. So gelangte ich über Litauen und Königsberg, wo ich kurz meine Mutter sprechen konnte, nach Deutschland.“ Dort musste er einige Franzosen und Russen auf einem Gutshof bewachen. „Bis zu jenem Zeitpunkt meinte das Leben es trotz allem gut mit mir und das Schicksal hat mich davor bewahrt, andere Menschen verletzt, geschweige denn getötet zu haben. Oft stellte ich mir die Frage, warum der Mann gegenüber mein Feind sein sollte? Ich kenne ihn nicht und er hat mir nichts getan. Er will nur genauso leben wie ich.“
Der junge Soldat schloss bei einer Flasche Rotwein Freundschaft mit einem Franzosen und lernte ein wenig seine Sprache, so wie er in jedem Land, in dem er war, versuchte, zumindest ein paar Begrüßungswörter zu erlernen.“ So spricht der interessante Senior neben Deutsch und Englisch auch etwas Französisch, Russisch und Griechisch.

„Im Herbst 1944 wurde ich erneut an die Front geschickt und musste mich zweimal Totstellen, um zu überleben. Am 12. Januar 1945, morgens um 6:00 Uhr, erlebten wir dann einen großen Angriff, der uns völlig überrollte. Granatensplitter schlugen in meinen Körper sowie in meine Brusttasche ein. Dort steckte zum Glück mein Zigarettenetui, das mir mein Leben rettete. Am nächsten Tag war ich durch den Einschlag an der Brust grün und blau. Unser Trupp zog sich zurück, wir schliefen in verlassenen Häusern und ich sah ständig, wie gefährlich die Welt ist.“ 1948, als der damals 24-Jährige aus der Gefangenschaft nach Deutschland zurückkehrte, erfuhr er zum ersten Mal die Tragödie der Judenverfolgung.

Foto oben rechts: 1953 heirateten "Herr Klaus" und seine Elli

Ohne abgeschlossene Ausbildung fand er zunächst Arbeit als Bergmann, später als Tankwart, bis er eine Stelle im Tanklager des Stadthafens Gelsenkirchen angeboten bekam. Dort arbeitete er sich hoch bis zum Leiter der technischen Verwaltung. „Mein Motto war immer: ‚Ihr könnt mir alles geben und ich versuche es dann zu erlernen‘.“

Neben seiner Arbeit fand Klaus Moyseschewitz Entspannung im Reisen, beim Schach und beim Tanzen. Dem feschen Kerl in Smoking und Fliege flogen wohl so einige Herzen zu, wie er kurz erwähnt, aber gentlemanlike nicht ins Detail geht. Doch seit er seine spätere Frau auf einem Tanzfest in Gelsenkirchen traf, hatte er nur noch Augen für seine „Elli“, mit der er mittlerweile fast 70 Jahre verheiratet ist.
Seine vielen Gedanken und Fragen brachte Klaus Moyseschewitz dazu, sich mit den großen Denkern und Philosophen wie Plato, Sokrates und Aristoteles sowie mit den verschiedenen Religionen zu beschäftigen. „Mein Fazit daraus ist, dass Religionen sich als Beistand nach Naturkatastrophen entwickelten. Auch da niemand weiß, wie es nach dem Tode weitergeht, verbreiteten sich die verschiedenen Theorien und Glaubensrichtungen.“
Damit aber nicht genug. Nach seiner Pensionierung im Jahre 1986 absolvierte Klaus Moyseschewitz ein Heilpraktiker-Fernstudium, um die Zusammenhänge im menschlichen Körper zu verstehen. „Ich wollte mein Leben nicht ohne Sinn und Verstand dahinplätschern lassen, sondern immer etwas Neues dazulernen.“
Die Themen Krieg und Frieden, Freund und Feind ließen ihn bis heute nicht los. „Es ist doch einfach nur Unsinn, wenn wir uns bekriegen.“ Daher schrieb ich mit dem Wunsch nach Frieden und als Mahnung zur Vernunft meine Autobiografie. Durch meine Makuladegeneration sehe ich zwar nur sehr schlecht, aber mithilfe meines Bildschirmlesegerätes kann ich lesen oder mir (meine) Texte vorlesen lassen. Nachdem jedoch der Rechner beim ersten Mal leider abstürzte und ich somit sämtliche Notizen verlor, diktierte ich nun meinem Sohn Jochen meine Erinnerungen, der sie für mich aufschrieb.“
Entstanden ist dabei ein 296 Seiten starkes, sowohl ernsthaftes als auch humorvolles Buch eines Zeitzeugen, der nichts beschönigte und nichts hinzudichtete. „Es ist nicht wichtig, dass ich es schreibe. Wichtig ist nur, dass einer den Anfang macht. Nur so können wir Frieden oder ein Umdenken erreichen, denn wir sollten nicht vergessen, dass wir uns durch unseren Ur-Stamm viel näherstehen, als mancher denkt“, zieht mein Gegenüber ein Fazit.

Das Buch „Ein Feind muss nicht sein“ kann für 19,90 Euro zuzüglich Versandkosten direkt beim Autor bestellt werden unter buchordermoyseschewitz@gmx.de .

Foto oben rechts: Fast 70 Jahre liegen zwischen diesen beiden Fotos. Vor einem Jahr feierten Elisabeth und Klaus Moyseschewitz ihre Steinere Hochzeit. Sie sind nun fast 68,5 Jahre miteinander verheiratet.

Text: Martina Jansen
Fotos: Christian Sklenak und privat

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