Die kleine Tanne
von Martina Jansen (Kommentare: 0)
Die kleine Tanne
Eine Freundschaftsgeschichte
Sehnsüchtig schaut die kleine Tanne hoch zu den kräftig gewachsenen Tannenbäumen, auf denen schon etwas Schnee liegt. „Ach, wäre ich doch auch nur so schön, wie sie“, seufzt sie. Und mit jedem Seufzer senken sich ihre Zweige weiter Richtung Boden.
Dass die kleine Tanne so unglücklich ist, das bleibt natürlich auch Hansi, dem Hasen mit den langen Ohren, nicht verborgen. „Ich muss etwas tun, damit die kleine Tanne wieder lachen kann und glücklich ist“, denkt er sich. Er überlegt kurz und trommelt dann alle Tiere des Waldes, die er erreichen kann, zusammen.
In der Advents- und Weihnachtszeit haben alle Tiere untereinander Frieden geschlossen. Sie jagen sich nicht und sie fressen sich auch nicht. Und so klopft Hansi an jeden Baumstamm, um die Käfer aufzuwecken, ruft in jeden Bau laut hinein, um die Füchse und Dachse zu informieren und sucht auch die hohen Bäume nach den Waldbewohnern ab. Viele, viele Tiere sind gekommen, denn sie wollen die kleine Tanne wieder fröhlich sehen. Moni, die kleine Maus, traut sich sogar neben der Eule Platz zu nehmen. Und da sie so doll friert, kuschelt sie sich an ihr Gefieder. Elfriede öffnet kurz ein Auge, denkt dann aber an den Weihnachtsfrieden und lässt Moni sich an ihr aufwärmen.
„Lieber Toni“, spricht Hansi die kleine Tanne an. „Wir möchten dich nicht mehr so traurig sehen. „Aber wie kann ich glücklich sein, wenn ich so klein bleibe und meine Baumnachbarn so schön in die Höhe wachsen?“, antwortet Toni. „Sieh auf di, di, dich und nicht auf an, an, andere, denn du bist wichtig“, piepst Moni. „Was siehst, siehst d, d, du, wenn du mich ansiehst?“ Toni überlegt nicht lange. „Eine kleine Maus, die uns alle immer zum Lachen bringt.“ Moni freut sich und fragte nach: „Hörst du denn ni, ni, nicht, dass ich stottere?“ „Doch natürlich“, antwortet die kleine Tanne, „aber das stört mich nicht, denn du erzählst uns immer so schöne Geschichten.“ Moni freut sich darüber, was ihr Toni gesagt hat, und sucht dann schnell wieder Elfriedes Wärme.
Nun tippelt der Igelpapa nach vorne. „Was fällt dir denn zu mir ein?“ „Du bist immer so fleißig und sammelst alle Blätter auf, die im Herbst auf dem Boden liegen. Wenn du das nicht machen würdest, dann würden die kleinen Waldbewohner im Laub versinken.“ Ingo wartet einen Moment und fragt Toni dann: „Was glaubst du, warum ich im Winter immer eine Mütze aufhabe?“ „Weil dir kalt ist“, ist Toni sich sicher. „Ja, aber andere Igel frieren ja auch nicht. Ich trage die Mütze, weil mir ganz viele Stachel auf dem Kopf fehlen. Und an diesen Stellen friere ich dann immer stark.“
Immer mehr Tiere zeigen Toni, dass auch sie anders aussehen als ihre Artgenossen. Aber alle sind trotzdem noch fröhlich, so wie Rosi. Dem kleinen Reh ist ein Teil seines Geweihes abgebrochen, und dennoch springt es gut gelaunt durch den Winterwald. Der Eulenmann findet seine Beine zu dünn, der Tausendfüßer hatte vor langer Zeit bei einem Unfall einige seiner Füße verloren und Wildschwein Wolli mag nicht in der Erde wühlen. Kein Tier ist perfekt, aber es stört niemanden, am wenigsten stört es sie selbst.
Hase Hansi stellt sich wieder vor Toni hin: „Und was gefällt dir denn jetzt nicht an dir?“ Die kleine Tanne muss gar nicht lange überlegen. „Meine Zweige hängen so tief über dem Boden und das sieht nicht schön aus.“ „Zum Glück ist das so“, steckt Moni ihren Kopf aus Elfriedes Gefieder, „unter deinen dichten Zweigen werde ich bei Regen nicht nass, wenn ich es mal wieder nicht rechtzeitig in mein Nest schaffe.“ „Ach“, mehr konnte Toni darauf nicht antworten, zählt aber weiter auf, dass er traurig ist, weil er so klein geblieben ist. „Und das ist jetzt mein größtes Glück“, meldet sich Emilia, das kleine Eichhörnchenmädchen, zum ersten Mal zu Wort. „Ich habe noch Angst, in den Zweigen der hohen Bäume hin- und herzuspringen. Aber in deinen Zweigen fühle ich mich sicher“, strahlt sie.
Toni ist erneut sprachlos, so hatte er sich nie gesehen. Das, was er an sich nicht mag, ist ein Vorteil für seine Mitbewohner im Wald, oder es stört sie einfach nicht. Alle Tiere des Waldes nehmen die kleine Tanne als Freund genauso an, wie sie ist. „Kannst du jetzt wieder glücklich sein?“, fragt Hansi. Doch Toni muss gar nicht antworten, an seinem Strahlen können alle anwesenden Waldbewohner erkennen, wie sehr er sich über die Worte seiner Freunde freut.
Text: Martina Jansen
Illustration: Nele de Cillia