Der Friedhof. Wie sehen wir ihn?

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Der Friedhof. Wie sehen wir ihn?

Friedhöfe kennen wir alle und sicherlich war jede/r von uns bereits an diesem Ort.

Es ist kein Ort, um sich zu verabreden oder um Zeit zu verbringen. Geht es Ihnen dabei wie mir? Zielstrebig gehe ich normalerweise zu dem Grab oder den Gräbern, an denen ich anhalten möchte, um meine Verstorbenen zu besuchen. Ich pflege die Ruhestätte, pflanze neue Blumen, entferne Laub und gehe wieder in Richtung Ausgang. Oft bin ich dabei in mich gekehrt und achte nicht auf die Umgebung, sehe mir weder besondere Grabmale an, noch lese ich die Inschrift auf den Grabsteinen. Mehr noch, an fremden Grabstätten halte ich niemals an, es wäre mir unangenehm oder käme mir falsch vor. Warum eigentlich?   
Beim nächsten Besuch habe ich den Friedhof bewusst wahrgenommen und auch die 14-jährige Schülerin Lotte Kuehn hat ihre Gedanken beim Rundgang über den Waldfriedhof gesammelt und aufgeschrieben. Ich bin überrascht, denn so weit sind die Gedanken einer jungen Schülerin und einer älteren Frau gar nicht voneinander entfernt.

Foto oben rechts: Gedanken an einen lieben Verstorbenen
Foto: stock.adobe.com/ Winfried

Friedhofsgedanken

Ich bin am Waldfriedhof und gehe durch den Haupteingang, nicht so froh und schön hier. Es ist komisch zu wissen, dass hier tote Menschen unter der Erde liegen. Meine erste Vorstellung ist nämlich, wie ich hier auch einmal unter der Erde liegen werde.
So viele Fragen im Kopf. Welche Lebensgeschichten sich hier verbergen? Vielleicht würden die Verstorbenen eigentlich noch lieber weiterleben wollen?
Und wie es den Angehörigen der verstorbenen Menschen wohl geht? Ich gehe weiter und entdecke verschiedene Grabsteine, jeder individuell, und jeder sagt etwas anderes aus. Ich finde es schade, dass man Friedhöfe direkt mit Trauer verbindet. Verbinden alle Menschen Friedhöfe mit Trauer? Ich fände es schöner, wenn es ein fröhlicherer Ort wäre. Natürlich ist es wichtig, um die geliebten Menschen zu trauern, und dennoch wollen sie das vielleicht gar nicht. Wir könnten lieber für die Zeit, die wir mit Ihnen hatten, dankbar sein und das Leben ehren und feiern.
Im Kolumbarium angekommen. Schön, dass hier Bilder von den verstorbenen Menschen aufgestellt sind. So vergisst man sie nicht. Und auch ich, die sie nie gekannt hat, habe jetzt die Möglichkeit, sie auf einer anderen Art wahrzunehmen. Die Bilder scheinen so viel über die Person und deren Charakter auszusagen, dass ich das Gefühl habe, sie zu kennen. Und mir wird klar, wenn ich hier sitze, dass ich viel dankbarer dafür sein darf, lebendig und froh zu sein.
Auf dem Weg zum Friedwald begegnen mir einige Menschen. Ich grüße freundlich, erwarte aber nicht unbedingt ein „Hallo“ zurück, da ich mir vorstellen kann, welche Last sie womöglich tragen. Es ist einfach eine andere Atmosphäre.
Der Friedwald ist außergewöhnlich und besonders, weil man ihn so nicht kennt und er nicht immer zu finden ist. Der Friedwald ist ein Waldstück am Rande des Friedhofs, wo jedem Menschen unter der Erde ein Baum zugeordnet ist. Es ist schön, dass es einen Ort für Angehörige der Verstorbenen wie den Friedhof gibt, um Frieden und Ruhe zu genießen.

Foto oben rechts: stock.adobe.com/Yurii Klymko/ Heimatmedien GmbH

Friedhofsgedanken

Ich stehe vor einem Eisentor, es ist geöffnet, aber dennoch bleibt es ein Tor. Schließen wir uns aus oder schließen wir die Verstorbenen aus unserem Leben aus? Diese Frage kommt mir in den Sinn, während ich den Waldfriedhof betrete. Warum ist es auf Friedhöfen eigentlich immer so grau und trist, trotz der zahlreichen bunten Blumen auf den Gräbern?  Warum gibt es hier keine bunte Bank, auf die man sich gerne setzt, um Zwiesprache mit den Verstorbenen zu halten, um sich mit anderen Friedhofsbesuchern zu unterhalten und etwas Trost oder vielleicht auch wieder etwas Freude zu spüren? Und warum befindet sich nebenan keine Schaukel, in der die Enkelkinder währenddessen so lange unbeschwert spielen können und so den Tod als etwas Natürliches ansehen, als Teil des Lebens?
Weiter komme ich nicht, ich stehe vor der Trauerhalle. Sie ist natürlich leer, sonst wäre ich nicht stehen geblieben, aber sie wirkt absolut nicht einladend. Wie auch? Es ist der Ort, an dem die Hinterbliebenen ihren Verstorbenen nie wieder real so nah sein werden. Der letzte Moment vor dem endgültigen Abschied ist privat. Ich möchte weg von hier, ich fühle mich unbehaglich.
Das Kolumbarium dagegen ist ein völlig anderer Ort auf demselben Friedhof. Still und fast schon sakral ist innen die Atmosphäre, und hier spüre ich die letzte Ruhestätte so, wie auf keinem anderen Teil des Friedhofs. Ich schweige ehrfürchtig und respektvoll um, ja warum eigentlich? Es ist mir jedenfalls ein Bedürfnis.
Ein paar Meter weiter befinden sich die Reihengräber. In Reih‘ und Glied, perfekt geordnet. „Typisch deutsch“, denke ich sofort. Ich wäre nicht erstaunt, wenn ich hier irgendwo deutlich sichtbar einen Aushang finden würde, mit Vorschriften über die Grabdeko und die Höhe der Grabmale. Deutsche Gründlichkeit, die sich auch hier widerspiegelt.
Bevor ich den Friedhof wieder verlasse, komme ich am Friedwald vorbei. Für mich ist er das Herz des Waldfriedhofes. Die deutsche Ordnung ist vergessen, hier bedecken Ranken den Waldboden und erinnern nicht mehr daran, dass sich hier Urnengräber befinden. Spontan denke ich dabei an die Arme einer Mutter, die ihre Kinder behütet. Ein Gedanke, der mir gefällt und der mich tröstet. Hier möchte ich, wenn meine Zeit gekommen ist, auch beigesetzt sein, in der Nähe meines Vaters, der hier ruht. Ich möchte eins werden mit der Natur. Mittendrin statt nur dabei. Ich lächle vor mich hin, während ich flüstere: „Tschüss, Papa.“

Foto oben rechts: stock.adobe.com/Yurii Klymko/ Heimatmedien GmbH

Text: Martina Jansen und Lotte Kuehn

Zurück