Der Hufschlag ihres Pferdes ist Anne-Maries Herzschlag

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Der Hufschlag ihres Pferdes ist Anne-Maries Herzschlag

Anne-Marie Ricke hat ein Ziel und das verfolgt sie auch konsequent.

Dafür verzichtet sie nicht nur auf viel Freizeit. Auch finanziell muss die freundliche Hervesterin kürzer treten, da sie die Ausbildung zur Pferdeosteopathin aus eigener Tasche zahlt.

An insgesamt 13 Wochenenden drückt die junge Frau samstags und sonntags für jeweils zehn Stunden in Dülmen am Deutschen Institut für Pferdeosteopathie (DIPO) wieder die Schulbank. Und danach heißt es zu Hause noch: Lernen, lernen, lernen. Da bleibt nicht viel Zeit, um Freunde zu treffen. Montagmorgen schellt auch schon wieder der Wecker zum Start in eine neue Arbeitswoche.

„Wir sind keine Chiropraktiker, keine neuen ‚Tamme Hanken‘“, beteuert Anne-Marie Ricke, „wir renken nicht ein.“ Wobei „Einrenken“ auch nicht die richtige Bezeichnung wäre. Laien sprechen von ausgerenkten Wirbeln oder Gelenken, Fachleute würden es als Verschiebung oder Verkantung bezeichnen.

„Ausgerenkte Gelenke wären ein Fall für den Tierarzt. Wir lassen verschobene Wirbel sanft wieder an die richtige Stelle gleiten. Osteopathen denken weitgehend und sehen ganzheitlich“, erzählt sie weiter. „Wir sehen nicht nur die Knochen, sondern auch das Gewebe, die Muskeln, Sehnen, Bänder, Organe und die Faszien, die alles zusammenhalten.“ Dadurch behandeln sie nicht nur kurzfristig die Symptome, sondern versuchen, die Ursache zu finden und die Selbstheilungsprozesse des Körpers anzuregen, um einen langfristigen Erfolg zu erzielen.

Anne-Marie Ricke reitet seit ihrem siebten Lebensjahr und kennt daher keine Angst vor Pferden. Diese Tiere wissen, wer ihnen etwas Gutes tun will und halten daher bei den Untersuchungen meistens still. „Ich merke schnell, ob das Pferd mir vertraut. Beim sogenannten ‚Kauen und Lecken‘ lässt das Pferd den Kopf hängen und zeigt mir damit, dass es entspannt ist. So kann ich dann gut arbeiten.“

Mit der Einstellung: „Pferde können sprechen, man muss ihnen nur zuhören“, hört und sieht Anne-Marie mit ihren Händen - sowohl an ihren eigenen beiden Pferden, als auch an den anderen Pferden im Stall. Sie beobachtet, was sich bei den Tieren unterscheidet, wie sie sich anfühlen, wie sie laufen. „Jedes Pferd fühlt sich anders an und auf diese Weise kann ich ohne Erfolgsdruck etwas üben“, erklärt die angehende Osteopathin. Da Pferde ihre Schmerzen nicht so schnell zeigen, muss sie ganz genau beobachten, um kein Detail zu übersehen. Selbstverständlich haben die Besitzer zu den Untersuchungen ihr Einverständnis gegeben, damit Anne-Marie Praxiserfahrungen sammeln kann. Sie führt keine Behandlungen durch. „So weit bin ich noch nicht“, schätzt sie ihr eigenes Können objektiv ein.

Foto oben rechts: Anne-Marie Ricke mit Lèttir

Alternative Heil- und Behandlungsmethoden sind nicht nur in der Humanmedizin gefragt. Tierbesitzer geben seit einiger Zeit vermehrt  Geld für die Pflege, das gesunde Futter und auch für medizinische Behandlungen und Vorsorgen aus. „Tiere reagieren auf alternative Behandlungsmethoden sehr positiv, da die Wahrnehmung eine andere ist als beim Menschen und sie nicht vorbelastet sind“, weiß die 26-Jährige und ist sich ziemlich sicher, dass ihre Hilfe gefragt sein wird.

Leider ist die Bezeichnung ihres angestrebten Berufes nicht geschützt, so dass sich auch hier schwarze Schafe tummeln. Aber an der Art und Dauer der Untersuchung ist ein seriöser Pferde-Osteotherapeut jedoch sofort erkennbar. So kann eine Erstuntersuchung schon mal zwei Stunden dauern. Dazu lässt er sich zunächst die Beschwerden schildern, bevor er  das Pferd genau beobachtet und dann entscheidet, ob er es zum Tierarzt überweist oder ob er dem Pferd selber weiterhelfen kann. Ein Osteopath, der nicht nur ans Geld denkt, sondern das Wohl des Pferdes im Sinn hat, weiß, wo seine Grenzen liegen.

Für diese komplexe Untersuchung ist natürlich ein fundiertes Fachwissen nötig. Aus diesem Grund wird im ersten Ausbildungsjahr die komplette Anatomie des Pferdes gelehrt. Da hier ein bestehendes Grundwissen Voraussetzung ist, sind die Zulassungsbedingungen  Erfahrungen in der Human-oder Tiermedizin bzw. eine therapeutische Ausbildung. Diese Ausbildung hat Anne-Marie Ricke. Seit viereinhalb Jahren arbeitet sie gerne als Physiotherapeutin bei Dr. Fit und bildet sich erst nach Feierabend weiter.

Im zweiten Kursjahr in Dülmen geht es, nach dem das Grundwissen der Pferdeanatomie und- physiologie gelegt ist, an die osteopathischen Aspekte der Ausbildung. Hier sammeln die Lehrgangsteilnehmer Erfahrungen an den Pferden, die auf dem institutseigenen Hof stehen.

Im Juni 2018 legt die Reiterin ihre Prüfung zur DIPO-Pferdeosteopathin ab. Dass sie sie meistern wird, daran besteht sicherlich kein Zweifel. Danach folgen alle zwei Jahre Auffrischungskurse und Prüfungen, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Zusätzlich strebt Anne-Marie noch ihr Diplom als „Sattelexperte“ an, denn auf lange Sicht möchte sie Reiter und Pferd behandeln. Da sich eine schlechte Haltung des Reiters negativ auf die Beweglichkeit des Pferdes auswirkt, liegt es nahe, ihr Wissen aus der Human- und aus der Tiermedizin anzuwenden.

„Ich würde gerne mein Hobby zum Beruf machen, aber davon nicht allein leben müssen. Dazu liebe ich meinen Beruf als Physiotherapeutin zu sehr und möchte auch den Kontakt zu liebgewonnen Patienten nicht mehr missen.“

Um Pferden zu helfen, ihre Schmerzen zu lindern, braucht Anne-Marie Ricke kein finanzielles Startkapital, keine Praxis, kein Rüstzeug, keine Arbeitsgeräte.  „Alles, was ich brauche, trage ich bei mir: Meine beiden Hände.“

Obwohl Anne-Marie sehr gut geschult wird, sucht sie dennoch jetzt schon den Austausch mit anderen Osteopathen. „Zusätzlich möchte ich auch schon mal Kontakte zu Reitställen, Hufschmieden und Tierärzten im Kreis Borken und Recklinghausen knüpfen.“

Und mit der Liebe, mit der Anne-Marie allen Pferden begegnet, ist eines Tages, lieber Leser, liebe Leserin, vielleicht auch der Hufschlag Ihres Pferdes Anne-Maries Herzschlag.

Foto oben rechts: Anne-Marie Ricke prüft das Karpalgelenk ihres Isländers Lèttir auf Beweglichkeit

Text: Martina Jansen
Fotos: Christian Sklenak

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