Stadtteilserie Barkenberg

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Stadtteilserie Barkenberg

In der heutigen Ausgabe unserer Stadtteilserie weichen wir ein wenig von unserem bisherigen Format ab und betrachten Wulfen in zwei einzelnen Stadtteilberichten. Der Stadtteil Wulfen, bestehend aus Alt-Wulfen und Wulfen-Barkenberg, hat nicht nur zwei Gesichter, er hat auch zwei völlig unterschiedliche Geschichten. Es ist für uns daher kaum möglich, beide „Wulfen“ in einem Bericht „unter einen Hut“ zu bekommen.
Dorstens nördlicher Stadtteil liegt südlich von Lembeck, östlich von Deuten, nördlich von Hervest und westlich von unserer Nachbarstadt Haltern. Nordöstlich von Alt-Wulfen schließt sich Barkenberg an.

Barkenberg – Stadtteil im Wandel
„Was wohne ich doch schön hier!“ Wenn Angelika Gebhardt morgens den Napoleonsweg entlangläuft, vorbei an alten Bäumen, dem See und den Gänsen, dann spricht sie mit diesem Satz wohl den meisten Barkenbergern aus der Seele. Das Konzept aus Trennung der wenigen großen Straßen vom Rad- und Fußwegenetz in Kombination mit Wohnen im Grünen hat nicht nur für sie eine große Bedeutung.

Foto oben rechts: Sonnenuntergang am Barkenbeger See

Die Geschichte
Ganz im Gegensatz zu gewachsenen Strukturen anderer Stadtteile kann die „Geburt“ Barkenbergs auf den Tag genau nachvollzogen werden. Auf Wulfener Gebiet sollte die größte Zeche Europas entstehen. Um guten Wohnraum für die erwarteten 8.000 Bergbauarbeiter mit deren Familien zu schaffen, wurde die Neue Stadt Wulfen mit fast allen Details im Rahmen eines Städtebauwettbewerbs am Reißbrett entworfen und auf sandigem Ackerland erbaut. Den Zuschlag erhielt Professor Fritz Eggeling am 17. November 1961. Zu seinem Andenken wurde die Verbindungsstraße von Alt-Wulfen nach Barkenberg benannt.

Bund und Land investieren erhebliche Summen in die Musterstadt, in der 50.000 Menschen leben sollten, aber der Bergbau boomte hier nicht, die Bergarbeiter blieben aus. Die Mustersiedlung mit Schulen, Hallenbad, dem Einkaufszentrum der „City“, dem Gemeinschaftshaus, Bibliothek, Ärztehaus, und vierspurigen Straßen war völlig überdimensioniert.

Aus Backenberg wurde Barkenberg
Die alten Flurbezeichnungen Backenberg oder Bockenberg bedeuten Buchenberg. Die Straße „Buchenhöfe“ erinnert noch an die ursprüngliche Bezeichnung. Barkenberg verdankt seinen jetzigen Namen einigen Planern, die in bierseliger Runde den Buchstaben „c“ gegen das „r“ tauschten und aus Backenberg ein Barkenberg machten.

Foto oben rechts: Der Rundbau, ein markantes Gebäude am Marktplatz

Die Architektur
Unter Beachtung des Umweltschutzes konnten zahlreiche Architekten hier nach Herzenslust experimentieren. So schufen sie ein wabenförmiges Straßennetz mit wenigen breiten Straßen, hauptsächlich mit Rechts-vor-links-Straßenknoten ohne Kreuzungen und Ampeln, dafür mit Unter- und Überführungen. Durch das vom Autoverkehr getrennte Fußgängernetz gibt es kaum Verkehrsunfälle.

Ein Novum waren auch die Straßenbezeichnungen. So enden die Hauptverbindungsstraßen mit dem Zusatz „damm“, die etwas kleineren mit „allee“. Durch die Vergabe der Straßennamen nach alten Flurnamen gibt es in Barkenberg mehr als die Hälfte Straßennamen, die es sonst in Deutschland nicht gibt. Dadurch ist eine gute Orientierung möglich, die jedoch durch die oft nicht auf Anhieb nachvollziehbare Hausnummernvergabe erschwert wird. „Kleine Stichstraßen enden an Garagenhöfen, sodass alle dazugehörigen Häuser eine fortlaufende Nummer bekommen, Baugruppen aber oft zerrissen werden“, weiß Christian Gruber. Er führt Stadtteilführungen durch, hat aber selbst schon eine halbe Stunde lang hier eine Hausnummer gesucht. „Man munkelt, es sei mal ein Barkenberger verhungert, weil die Pizzataxis sein Haus nie gefunden haben“, schmunzelt der Bibliothekar.
Neben der neuen Straßenstruktur experimentierten die Architekten auch mit neuen Heiztechniken und kreativen Wohnformen. Einige Bauvorhaben sind sehr gelungen, andere wiederum extrem gescheitert.

Das Habiflex
Der Betonbau, der durch unzureichende Isolierung zur Tropfsteinhöhle wurde, trieb viele Investoren in die Insolvenz. Das Geld für einen Abriss ist nicht mehr vorhanden, so verkommt das leer stehende Gebäue immer mehr, sodass die Eingänge aus Sicherheitsgründen 2010 von der Stadt zugemauert werden mussten.

Foto oben rechts: Die Eingänge des Habiflex wurden zugemauert

Die Metastadt
Der Begriff Metastadt ist auch heute noch insbesondere bei Architekten eng mit Barkenberg verknüpft. 1974 groß beim Richtfest als Wohnung mit veränderbaren Innenwänden gefeiert, rosteten die Stahlträger vor sich hin und stellten erhebliche Kältebrücken dar. 1987 wurde der Megabau am See daher schon wieder abgerissen.

Die Finnstadt
Sowohl die schwarze wie auch die rote Finnstadt zeigen, dass es auch anders geht. Die Terrassenhäuser, die ihren Namen aufgrund finnischer Architekten bekamen, basieren auf einem guten Konzept. „Die Eigentumswohnungen wurden durch Mietzahlungen abbezahlt, sodass sich auch Otto Normalverbraucher Eigentum leisten konnte“, freut sich Charly Gebhardt, Laienschauspieler bei der „Kleinen Bühne 74“.

Der Rottmannshof
Das „Rotti“ kennt wohl jeder Wulfener. Das Evangelische Kinder- und Jugendhaus ist mit seinen bunten Graffitis auch bei Eltern ein gerngesehener Treffpunkt für Jugendliche. „Wir sind eine beliebte Anlaufstelle für Jugendliche in Barkenberg“, freut sich die Leiterin Heidemarie Müller darüber, dass die Jugendlichen das Haus immer noch annehmen. Das „Rotti“ hat sich gewandelt. Angelika und Charly Gebhard, die in der Nähe wohnen und auf ihren Spaziergängen fast täglich am Jugendhaus vorbeikommen, haben die Wandlung miterlebt. So steht für den Barkenberger der Rottmannshof für die Anfänge von Barkenberg. „Ich erinnere mich noch an die dreitägigen Festivals ‚Umsonst auf den Wiesen‘“. „Allerdings waren wir nur Zaungäste und haben unsere Kinder abgeholt“, ergänzt seine Frau.
Tim kommt um die Ecke und wir bitten ihn, in unserer Runde Platz zu nehmen. Es ist schön, zu sehen, dass sich junge Leute engagieren. So ist aus Tim Schipp, dem ehemaligen kleinen Besucher des Hauses, heute ein ehrenamtlicher Mitarbeiter geworden. „Ich bin gerne hier“, erzählt der 15-Jährige. „Die Arbeit macht mir Spaß und ist außerdem noch sinnvoll“, fährt er fort und Heidemarie Müller ergänzt: „Wir kennen Tim schon lange. Er kümmert sich hervorragend um die jungen Besucher und hat mitgeholfen, den neuen Bewegungs-Parcour zu bauen.“
Durch das Projekt „Jugend stärken im Quartier“, das seit etwa fünf Jahren läuft, erstrahlt das Haus in neuem Licht. Die Terrasse wurde um die alte Eiche herum erneuert, Palettenmöbel gebaut und der Bauwagen bemalt. „Die anderthalb Jahre Arbeit, die wir in das Projekt gesteckt haben, haben sich definitiv gelohnt“, freut sich die Pädagogin über das Ergebnis.

Foto oben rechts: Tim ist ein unersetzlicher ehrenamtlicher Mitarbeiter im „Rotti“ geworden

Kleine Bühne 74
Wie der Name vermuten lässt, traf die Theatergruppe 1974 im VHS-Kurs „Theaterspielen“ aufeinander. 1977 nannte sie sich Barkenberger Laienspieler“, trennte sich zwei Jahre später von der VHS und änderte 1985 ihren Namen noch einmal um. „Wir wollten Mitspieler aus anderen Stadtteilen nicht ausgrenzen“, so Charly Gebhardt, das Mädchen für alles, wie er selbst sagt. „Seitdem Beginn an haben wir in etwa 500 Vorstellungen 116 Stücke aufgeführt“, zählt er auf. Dazu gehören neben den Theaterstücken in der Heimspielstätte dem Forum der Gesamtschule, aber auch 35 Jahre lange Auftritte auf der Schlossterrasse Lembeck, sowie bei Stadtteilfesten, in Vereinen und bei Schulveranstaltungen.  Komödien, Kriminalkomödien, Kriminalstücke, Lustspiele, Boulevardstücke, Märchen, Kinderstücke, Jugendstücke, Sketche und Straßentheater, das Repertoire der Kleinen Bühne ist riesig.

Foto oben rechts: Die Kleine Bühne 74 präsentierte "Die Zauberflöte"

„Zurzeit sind wir 14 Aktive, insgesamt haben bei uns bereits 150 verschiedene Laienschauspieler mitgespielt“, weiß Souffleuse Angelika Gebhardt. Sie spielt selbst nur noch selten mit, sondern kümmert sich noch um die Organisation und Regie. „Die Aufgabe der Souffleuse darf man nicht unterschätzen“, betont ihr Mann, „das bedeutet für Angelika anderthalb Stunden äußerste Konzentration.“

Foto rechts: Urgesteine der Kleinen Bühne 74: Angelika und Charly Gebhardt

Die Zeche
Das schwarze Gold war verantwortlich für den Bau der Neuen Stadt Wulfen. Doch die Erwartungen, die an den Bergbau geknüpft waren, wurden nicht erfüllt. Mehrere Zechen- und Gewerkschaftsnamen sowie einige Jahrzehnte später gehörte der Steinkohlebergbau auch in Wulfen der Vergangenheit an. Die Schächte wurden Ende 2000 mit Schotter und Beton verfüllt, die Schachtanlage wurde, bis auf einen verbliebenen Stein, abgebaut.
Dennoch finden sich noch Spuren des Bergbaus in und um Wulfen. So steht am Napoleonsweg die Grubenlok Nora, in der Maschinenhalle von Fürst Leopold in Hervest ist der Kohlebrocken, der in der Heinrichstraße als Altar diente, ausgestellt, bepflanzte Loren sind in Wulfen zu finden und die Bushaltestelle an der B 58 heißt weiterhin „Zeche Wulfen“. Und last but not least befinden sich in der St. Barbarakirche eine Statue der Heiligen Barbara, Schutzpatronin der Bergleute, ein Stück Kohle sowie eine Bergmannslampe.

Foto oben rechts: Blick von oben auf das ehemalige Zechengelände in Wulfen

Wulfen Wiki
Wer wo was in Wulfen, hier im Online-Lexikon zum Mitmachen sind bekannte Wulfener Bürger, Politik, Vereine, Feste, Geschichte und natürlich Straßenkarten übersichtlich nach Stichpunkten angeordnet für die Nachwelt erhalten.

Gegründet hat dieses Lexikon Christian Gruber, seit 30 Jahren Bibliothekar in Dorsten und Wulfen und ein Barkenberger aus Überzeugung. „Vor 13 Jahren wollte ich wissen, wieso der Napoleonsweg diesen Namen trägt“, erzählt er und forschte nach. Seine Ergebnisse fand er so spannend, dass ein Artikel über die Entstehung des Namens der erste Artikel der Stadtgeschichte seines Lexikons wurde. Seitdem wird das Lexikon ständig erweitert. Die 704 Seiten mit 10.000 Fotos werden täglich rund 1.000 Mal aufgerufen, von Beginn an mehr als eine Million Mal. Die Datenbank ist kein fertiges Dokument, hier kann jeder veröffentlichen, was einen Bezug zu Alt-Wulfen oder Barkenberg hat. Dennoch füllt der Chronist des Stadtteils selbst zu 75 Prozent die Seiten und das täglich.

Foto oben rechts: Christian Gruber, der Chronist aus Wulfen

BSV Wulfen
Seit Jahren locken die Heimspiele des Basketballvereins BSV Wulfen zahlreiche Gäste in die Gesamtschulhalle. Seit 51 Jahren ist der Verein aktiv und spielte ab der Saison 2010/2011 sogar drei Jahre lang in der 2. Bundesliga mit. Echte Highlights, bei denen sich die Fans der „Wölfe“ immer etwas Besonderes einfallen lassen, sind stets die Derbys gegen die BG Dorsten. „Ob sie mit dem Heli einfliegen oder sich mit Bobby Cars auf den Weg nach Holsterhausen machen, unsere Fans haben immer gute Laune im Gepäck und unterstützen die Mannschaft grandios“, freut sich der zweite Vorsitzende Carsten Duwenbeck.

Foto oben rechts: 1. Herrenmannschaft des BSV Münsterland Baskets Wulfen

Die Infrastruktur
Die Einkaufsmöglichkeiten sowie Arztpraxen bündeln sich im Einkaufszentrum Wulfener Markt. Hier findet der Käufer das, was sie zum täglichen Leben brauchen, angefangen von Lebensmittel über Schuhe und Kleidung hin zu Drogerie- und Büroartikel, aber das war es dann auch schon. Der Marktplatz schließt sich zwar an und auch zum See ist es nicht weit, aber es fehlen Sitzmöglichkeiten und das typische Marktplatz-Feeling.  

So wie das Wulfener Einkaufszentrum hauptsächlich zum Einkaufen dient, so dient Barkenberg vielen Bewohnern als reiner Wohnort, vielfach mit Eigenheim im Grünen. Mangels geeigneter Arbeitsplätze vor Ort pendeln zahlreiche Barkenberger über die B58 in Richtung Haltern oder Freudenberg, um dort die Autobahnen zu nutzen oder wählen den Marler Damm in Fahrtrichtung Marl.

Das Wappen
Das Wulfener Wappen der Ritter von „Wulffheim“ existiert bereits seit 1258. Der silberne Wolfskopf auf blauem Hintergrund erinnert an den Gründer der damaligen Gemeinde Wulfen. Die Neugestaltung des historischen Wappens geschah im Jahre 1929 durch Initiative des Heimatvereins.

Eckpunkte der Geschichte:
1958: Schacht 1 der Zeche in Wulfen wird abgeteuft
1961: Die Neue Stadt Wulfen entsteht auf dem Reißbrett
1967: Die ersten Einwohner ziehen in den Ortsteil
1968: Der Handwerkshof wird eröffnet
1974: Die Metastadt feiert Richtfest
1975: Wulfen wird eingemeindet
1975: Die Halterner Straße (B 58) wird umbenannt in Dülmener Straße
1976: Die Gesamtschule wird eingeweiht
1976: Barkenberg erhält eine Polizeiwache
1979: Der erste Spatenstich zum Wulfener Einkaufszentrum erfolgt
1986: Der Rottmannshof wird eingeweiht
1987: Die Metastadt wird abgerissen
2006: Der Stadtumbau beginnt
2010: Das Habiflex wird zugemauert

Text: Martina Jansen
Fotos: Christian Sklenak, Guido Bludau und privat
Quelle: Stadt Dorsten, wulfen-wiki.de

Liebe Leserinnen, liebe Leser, da es sich bei Alt-Wulfen und Barkenberg um einen Stadtteil handelt, sind die offiziellen Einwohnerzahlen sowie die Flächen der beiden Ortsteile nicht nach getrennt.
GPS-Koordinaten: 51° 43' 43.99" N     7° 2' 21.221" E
Fläche gesamt 2079,09 ha, Wohnfläche 170,26 ha, Industrie- und Gewerbefläche 219,10 ha
Einwohner: 14.143
Schulen Barkenberg: Grüne Schule, Gesamtschule
Kindergärten Barkenberg: Städtischer Kindergarten Metastadt, katholische KiTa St. Barbara, Integrative KiTa Wulfener Markt, städtische KiTa Wischenstück
Kirchen: St. Barbara, Gemeindezentrum Barkenberg, Ev. Kirchengemeinde Hervest-Wulfen

Quelle: Stadt Dorsten, www.laengengrad-breitengrad.de

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