Weihnachten: die Realität

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Nächstes Jahr läuft es hier anders

Festlich gekleidet und bestens gelaunt, sitzt die Familie friedlich am Tisch und wartet bei einer Tasse Kaffee auf die Bescherung. Ich schalte um auf einen anderen Sender: Weiß gekleidete Frauen überreichen sich Geschenke, kunstvoll eingewickelt in teures Papier. Ich schalte erneut um. Nun sitzt die gesamte Familie friedlich am Esstisch, der so außergewöhnlich dekoriert ist, dass dafür sicher ein Designstudium nötig war. Genervt mache ich den Fernseher aus.

Mit diesen Bildern im Kopf, die ich tagelang zu sehen bekam, merke ich, dass bei mir, und sicher nicht nur bei mir, die Realität ganz anders aussieht. Auch wenn ich mir jedes Jahr vornehme, den Ablauf besser zu organisieren, so stehe ich jetzt am ersten Feiertag wieder stundenlang in der Küche. Aber nicht in High Heels und dem kleinem Schwarzen wie die Hausfrauen aus der Werbung, sondern mit Schlappen und bunter Schürze. Zum Kaffeetrinken komme ich nicht, aber ich hätte jetzt eh keine Zeit für den Weihnachtsmann, der angelockt durch den Kaffeeduft mit seinem Schlitten einen Zwischenstopp auf meiner Terrasse  einlegen würde.
Meine Küche gleicht einem Schlachtfeld, aber ich versuche dennoch den Überblick nicht zu verlieren. Der Wasserdampf der kochenden Kartoffeln ruiniert meine Frisur, die mich viel Zeit und Geld beim Friseur meines Vertrauens gekostet hat. Zwei Strähnen fallen mir ständig ins Gesicht, die ich erfolglos wegblase, dann aber schließlich mit klebrigen Fingern wegstreiche. Aus dem Augenwinkel sehe ich Knödelteigreste auf der Stirn und den Haaren. Das mache ich später weg, jetzt habe ich keine Zeit dazu.
Ich renne zum x-ten Mal die Treppen hinunter in den Keller. Die alte Küche muss heute wieder herhalten, oben fehlen mir die nötigen Kochplatten. Ente, veganer Auflauf, Rotkohl, Klöße, Kartoffeln, Soße sowie Suppe, einmal mit und einmal ohne Fleisch, lassen sich nun mal nicht in drei Töpfen zubereiten.

Foto: stock.adobe.com/ Agave Studio

„Willst du dich nicht mal so langsam umziehen?“, fragt mich mein Mann, der kurz in die Küche kommt und mein rotverschwitztes Gesicht sieht. „Unsere Eltern sind gleich da“, fährt er mit dem Korkenzieher in der Hand weiter.
Der pubertierende Nachwuchs ist auch endlich wach geworden und trudelt im Wohnzimmer ein. „Kannst du mir bitte helfen?“, bitte ich meine Tochter zwischen Tür und Angel. „Ja. Gleich. Sag‘ Bescheid, wenn du Hilfe brauchst“ und wendet sich wieder ihrem Handy zu. „Bescheid.“ „Gleich“ ist offensichtlich ein sehr dehnbarer Begriff. „Bescheid!“ „BESCHEID!“ Ich stecke meinen Kopf ins Wohnzimmer. Mein „Nicht gleich, JETZT“, klingt etwas gereizter als beabsichtigt. „Pass jetzt mal kurz auf die Ente auf, dass sie nicht anbrennt, ich gehe eben duschen.“
Ein beißender Geruch dringt in meine Nase, als ich nach dem Duschen umgezogen aus dem Schlafzimmer komme. Ich kratze so gut es geht das Schwarze vom Geflügel und weiche den Topf mit den verbrannten Soßenresten ein. Dann tut es jetzt eben die Fertigsoße aus der Tüte.
Es schellt. Eltern und Schwiegereltern stehen vor der Tür. Alle festlich gekleidet, mit weißen Blusen und Rock beziehungsweise mit Anzug. Ich schaue an mir herunter. Ich bin zwar umgezogen, trage aber immer noch Puschen und geschminkt bin ich auch noch nicht. Zurechtgemacht wie Aschenputtel nehme ich Platz am Esstisch und nehme mir ganz fest vor: „Nächstes Jahr läuft es hier anders. GANZ anders.“

 Foto: stock.adobe.com/ Andrey Armyagov

Text: Martina Jansen

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