Postmortale Kosmetik und Last Finish

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Modernes Einbalsamieren: Die Kunst, einen Verstorbenen unversehrt aussehen zu lassen

Wie wichtig ein Abschied am offenen Sarg für die Hinterbliebenen ist, darüber sind sich Bestatter und Trauerbegleiter einig. Wenn jedoch die hygienische Grundversorgung für diesen Abschied nicht mehr ausreicht, dann ist Johannes Lenert vom gleichnamigen Bestattungsinstitut in der Altstadt gefragt.
„Heute finden einige Beisetzungen bedingt durch Überführungen, Terminschwierigkeiten oder auch Obduktionen teilweise erst nach Wochen statt. Auch in diesen Fällen möchten wir den Hinterbliebenen eine ästhetische und würdevolle, offene Aufbahrung ermöglichen“, erklärt Johannes Lenert. „Dies ist aufgrund verschiedener Maßnahmen fast immer möglich, es sei denn, das Gesundheitsamt verbietet es beispielsweise bei meldepflichtigen Krankheiten des Verstorbenen“, fährt er fort.
Die „modernen Einbalsamierer“, die Thanatologen, erlernen diese Kunst, damit Angehörige ihre Verstorbenen noch einmal sehen können, auch wenn sie durch einen Unfall, lange Krankheit oder durch Gewalteinwirkung entstellt sind. Thanatopraktische Tätigkeiten werden daher hauptsächlich in der postmortalen Kosmetik sowie Rekonstruktion angewendet. „Verletzungen speziell im Gesicht oder an den Händen, an den Stellen, die zu sehen sind oder auch berührt werden, aber auch nach Obduktionen verschließen wir die Nähte oftmals neu und überziehen sie mit künstlicher Haut. Und nach der Versorgung und dem Ankleiden kann der Verstorbene noch mit Kosmetik versorgt werden“, erklärt der Dorstener Einbalsamierer. Somit gibt er dem Verstorbenen ein dem Leben ähnliches Aussehen zurück. „Bei allen Tätigkeiten achten wir natürlich besonders auf penible Sauberkeit.“

Foto oben rechts: Der Dorstener Bestatter und Thanatologe Johannes Lenert ist Mitglied im BIE (British Institute of Embalmers)

Die zweite Seite der thanatologischen Praxis ist eine offene Aufbahrung über einen längeren Zeitraum, ohne dass unangenehme Begleiterscheinungen auftreten. Bei Überführungen aus dem Ausland reicht die Hygienische Grundversorgung nicht aus. Bevor der Zinksarg verschweißt wird, wird der Verstorbene ausschließlich durch geprüfte Thanatopraktiker in Deutschland einbalsamiert. Die Angehörigen müssen am Ende das Gefühl haben, dass ihr Verstorbener jetzt die Welt so verlassen darf.
„1996 auf einem Hygieneseminar merkte ich, dass viel mehr machbar ist, um Angehörigen den Abschied auch nach längerer Zeit noch zu ermöglichen. So absolvierte ich ein Jahr lang die Zusatzausbildung im Bereich der Thanatologie inklusive zweimal zwei Wochen Praktikum in England“, blickt Johannes Lenert auf seine thanatopraktischen Anfänge zurück. In England werden Verstorbene zu 90 Prozent einbalsamiert. Somit ist England gemeinsam mit den Iren, Franzosen und Belgiern führend auf diesem Gebiet. „Das war eine spannende und lehrreiche Zeit“, erinnert er sich und nimmt mich mit in seinen Versorgungsraum.
Mir wird hier klar, dass die Arbeit als Thanatologe verschiedene Bereiche aus den Gebieten Psychologie, Soziologie, Biologie, Anatomie, Medizin, Pflege, Rechtswissenschaft und Theologie vereint, um trauernden Angehörigen beizustehen und einen würdigen Abschied zu ermöglichen.Und halbe Chemiker sind sie obendrein noch, wenn ich mir die zahlreichen Flaschen mit verschiedenen Desinfektionsmitteln und Konservierungsflüssigkeiten, Pulver, Cremes und Sprays ansehe. Mein Blick fällt auf den Tisch mit unterschiedlichem chirurgischem Besteck. „Mein Ziel ist es, das natürliche Erscheinungsbild des Verstorbenen wiederherzustellen, sodass Hinterbliebene ihren Angehörigen in guter Erinnerung behalten können. Wir sind Wegbereiter für die Trauerarbeit, wollen den Tod jedoch nicht verstecken“, erklärt mir der ehemalige Pressesprecher des VDT, des Verbandes dienstleistender Thanatologen. Darüber hinaus ist Johannes Lenert auch Mitglied im BIE (British Institute of Embalmers) und hat dort bereits an Versammlungen und Weiterbildungen teilgenommen.

Foto oben rechts: Grundlage für die Einbalsamierung ist die hygienische Versorgung
Foto: adobestock.de/photografee.eu

„Grundlage für die Einbalsamierung ist die hygienische Versorgung. Dabei sehen wir den Verstorbenen schon an, woran sie gestorben sind und können die Versorgung dementsprechend durchführen“, erklärt Johannes Lenert und fährt fort: „Durch eine Versorgung mit einer präventiven Einbalsamierungsflüssigkeit können wir den Verstorbenen versorgen, ohne dass unangenehme Begleiterscheinungen auftreten. Je nach errechneter Konzentration der Lösung kann der Prozess allerdings auch auf längere Zeit ausgedehnt werden. Mit der präventiven Behandlung wird nicht beabsichtigt, den Leichnam für die Ewigkeit zu konservieren, sondern ihn bis zur Bestattung in einer dem Verstorbenen würdigen Weise zu bewahren.“
Ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen, dauert die aufwendige Versorgung, die das ganze Können der Thanatologen erfordert, ungefähr eine Stunde zusätzlich zur Hygienischen Grundversorgung. „Ich stehe in Kontakt mit Thanatopraktikern in Marl und Oberhausen, denn ich lerne immer wieder gerne dazu“, fährt Johannes Lenert fort. „Wir stehen nicht nur als Dienstleister unseren Bestatterkollegen thanatologisch zur Seite, wir helfen auch im Ausland bei großen Naturkatastrophen mit, die zahlreichen Verstorbenen möglichst schnell transportfähig zu machen. Hier hilft dann aber oft nur noch ein Pulver zum temporären Konservieren.“
In den letzten 20 Jahren hat sich in der Bestattungskultur sehr viel getan, die Wünsche der Angehörigen sind kreativer und persönlicher geworden. Dazu gehören neben Totenmasken auch Fingerprints für personalisierten Schmuck oder auch Hausaufbahrungen, die dank der modernen Methoden durchaus möglich sind. Vielleicht ist es jetzt ein guter Zeitpunkt, um zu überlegen, wie man sich selbst oder seine Angehörigen würde- und respektvoll verabschieden möchte.

Foto oben rechts:Thanatologen ermöglichen den Angehörigen einen Abschied am offenen Sarg
kostenloses Foto pexels, Pavel Danilyuk

Johannes Lenert hat noch zwei passende Buchtipps für interessierte Leserinnen und Leser bereit:
„Der Tod ist dein letzter großer Termin“. Ein Bestatter erzählt vom Leben von Christoph Kuckelkorn
und
Der Einbalsamierer: Von der Kunst, die Toten schönzumachen von Joerg Vieweg

Text: Martina Jansen
Foto: Christian Sklenak

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